Klassische Atari-Arcade-Maschinen (Foto: arcade-museum.com)

Fast vergessen (10): Was wurde eigentlich aus Atari? – Part I

Es ist kompliziert. Denn die Geschichte des Namens (nicht der Firma) Atari steht stellvertretend für die chaotischen Entwicklungen der digitalen Dinge für Jedermann in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Alles änderte sich schnell. Was heute noch innovativ und angesagt war, verschwand am nächsten Tag in der Versenkung der elektronischen Irrwege. Besonders kurvenreich verlief die Historie der Computerspiele, und Nolan Bushnells Atari war und stellt bis heute einen zumindest spannenden Faktor darin dar.

Man könnte sogar sagen, dass Bushnell das Computerspiel erfunden hat … gäbe es da nicht Games wie Spacewar!, die von vergnügungssüchtigen Programmierern in den Sechzigern auf Großrechnern entwickelt wurden. Aber es war dann doch das legendäre Pong, das aus heutiger Sicht die Inkunabel aller Computerspiele darstellt. Die Grundidee dieses Genres ist ganz ohne analoges Vorbild. Also dass ein oder mehrere Spieler einem Elektronenhirn auf irgendeine Weise befehlen, dies oder das zu tun, um nach gewissen Regeln zu gewinnen oder zu verlieren.

Bildschirm eines PDP-1, auf dem Spacewar läuft (Foto: via Wikimedia, public domain)
Bildschirm eines PDP-1, auf dem Spacewar läuft (Foto: via Wikimedia, public domain)

Es geht die Legende, dass alle Schießspiele, also auch Spacewar, auf dem guten alten Schiffeversenken beruhen, einem Papierspiel, bei dem zwei Spieler gegeneinander antreten, wobei jeder abwechselnd einen „Schuss“ abgibt, indem er ein eine Koordinate eingibt. Zuvor haben beide auf einem Spielfeld mit Raster ihre Schiffe platziert. Pong aber beruht entfernt auf Tischtennis, ist also mit Sicherheit die erste Sportsimulation. Bevor Bushnell dieses Spiel erfand, probierte er es auch mit einem Shooter, den aber niemand gut fand.

Das Problem war: Wie könnten Leute Pong spielen, die keinen Zugang zu einem Computer hatten. Wir sprechen von 1971/72 als die Idee vom persönlichen Computer nur in einigen besonders hellsichtigen, aber auch leicht weltfernen Köpfen spukten. Also erfand Bushnell eine neue Form der Arcade-Maschine. Die wiederum ist direkter Nachkömmling von Geldspielautomaten und Flippern, wie sie damals bereits in Bars anzutreffen waren. In den USA übrigens in der Regel wegen der Gambling-Gesetze in Nebenräumen der jeweiligen Gastronomie. Aus denen wurden dann die Spielhallen, die dieser Spezies ihren Namen gaben. Außerdem gab es in Vergnügungsparks schon Apparate, die Arcade-Machines genannt wurden, aber – ähnlich wie der Flipper – mechanisch gesteuert wurden und analog-elektrisch funktionierten.

Ralph Baers "Borwn Box", die Mutter aller Spielkonsolen (Foto: Smithsonian, public domain)
Ralph Baers „Borwn Box“, die Mutter aller Spielkonsolen (Foto: Smithsonian, public domain)

Wirklich revolutionär war die Idee der Spielkonsole, die allerdings schon 1966 ein gewisser Ralph Baer erfunden hatte. Seine Brown Box konnte man an jeden modernen Fernseher anschließen, um dann eines der beiden installierten Spiele – eine Tennissimulation und ein Hit-and-Run-Gam – zu spielen. Das Tennis-Game war dann die Inspiration für Bushnells Pong. Die Firma Magnavox hatte es auf ihre Konsolen gebracht und um 1970 herum bereits einen beachtlichen Verkaufserfolg damit erzielt.

Wir sehen: In der Computerei wurde selten etwas von Null an erfunden; fast immer waren es Frickler und Bastler, Nerds und Freaks, die fürs Business nichts taugten und irgendetwas aus purer Freude am Erfinden in die Welt brachten. Ihren Eingang in die Welt der populären Dinge fanden die Ideen immer erst, wenn sie auf Menschen trafen, die das Geldverdienen mehr im Kopf hatten als den technischen Fortschritt. Schon als er bei einem Job in einem Vergnügungspark auf die Arcade-Machines gestoßen war, hatte er die Idee, die Großrechner-Gams zu imitieren und als Computerprogramme auf solchen Kisten zu implementieren.

Die Atari-Gründer vor einer der ersten Pong-Maschinen (Foto: via reddit.com)
Die Atari-Gründer vor einer der ersten Pong-Maschinen (Foto: via reddit.com)

Sein erster Wurf waren dann auch Maschinen, die eine Abart von Spacewar boten; aber das Publikum nahm die Dinger nicht an – das Spiel war zu komplex und die Benutzeroberfläche für Otto und Lise Normalspieler:in nicht geeignet. Das änderte sich mit Pong, bei dem ja bloß ein senkrechter Strich am Bildschirmrand von oben nach unten und umgekehrt gesteuert werden muss, um möglichst einen hin und her fliegenden Punkt zu blocken und so zurückzuschlagen. Das konnte jeder, der in der Lage war, einen runden Knopf zu drehen. Übrigens: Die Bedienelemente der Pong-Arcade-Machine und der Pong-Konsole sind das erste Beispiel für die Auge-Hand-Koordination, die danach alle Eingabeformen jenseits der Tastatur prägten.

Rasch entstand in den USA in jedem Kaff mindestens eine Spielhalle, Atari entwarf im Monatsrhythmus neue Kisten mit neuen Spielen, und bald tummelten sich ein gutes Dutzend Unternehmen auf diesem lukrativen Markt. In Europa war es eigentlich nur das Vereinigte Königreich, in dem es solche Arkaden gab; in Deutschland blieben Kneipen das natürliche Habitat für Spielapparate. Ausnahme waren die Spielhallen voller Flipperautomaten, die sich in einigen Großstädten, vor allem in Hamburg, angesiedelt hatten. Sie bilden bis heute den Ursumpf für die Automatenspielhallen, in denen heute fast ausschließlich Geldspiele angeboten werden.

Eine alte Filiale von Bushnells Pizza-Kette (Foto: pizza-an-burgertime.com)
Eine alte Filiale von Bushnells Pizza-Kette (Foto: pizza-an-burgertime.com)

Nolan Bushnell und sein Kompagnon Ted Dabney hatten ihren Laden Atari getauft, einem Begriff aus dem Go, der die Situation eines Steins bezeichnet, der nur noch eine „Freiheit“ hat, also im nächsten Zug geschlagen werden kann. Das dürfte erst die rasch wachsende Fangemeinde der Konsolen entdeckt habe, für alle andere klang der Name einfach gut. Der Vorläufer von Atari, den die beiden Kumpels 1969 gründeten, hieß Szyzygy. Unter diesem Namen entwickelten sie die früh gescheiterte Spacewar-Maschine, um dann mit der Vermarktung von Pong auf den neuen, besseren Namen umzuswitchen.

Nolan Bushnell und Christian Spanik im Lion & Compass ((Foto: privat)
Nolan Bushnell und Christian Spanik im Lion & Compass ((Foto: privat)

Wie sich später zeigen würde, lag Bushnell das Gründen von Firmen im Blut. Über die Jahre kommt er auf mehr als zwanzig solcher Gründungen. Nicht alle davon waren so erfolgreich wie Atari, aber die von ihm 1977 gestartete Pizzerienkette Chuck E. Cheese hat heute noch mehr als 600 Filialen in den USA. Später warf er sich mit wechselndem Erfolg auf die Spielentwicklung und auf Spielrobotor. Seit einigen Jahren ist er mit Brainrush im Bereich von KI-gestützten Lernsystemen unterwegs. Er war und ist eine spannende Persönlichkeit, die Mit-Digisaurier Christian Spanik interviewen wollte, was zu einer lustigen Verfolgungsjagd ausartete.

Das Atari VCS von 2020 (Foto: Atari, Inc.)
Das Atari VCS von 2020 (Foto: Atari, Inc.)

So viel zur ersten Phase der verschiedenen Firmen, die irgendwann einmal Atari hießen. Aktuell gibt es wieder ein Unternehmen dieses Namens, die Atari, Inc., die auch wieder im Reich der Spiele unterwegs ist. Ja, diese Firma war mutig genug, eine neue Atari-Spielkonsole zu entwickeln und bemüht sich seit 2020 eine Kiste mit dem traditionsbehafteten Namen Atari VCS auf den Markt zu bringen. Was dazwischen geschah, stellen wir in Part II unserer kleinen Atari-Historie vor.

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