Mitten in der ersten großen PC-Krise, also im Jahr 2001, unternahm die legendäre Computer-Firmen-Managerin Carly Fiorina als CEO von Hewelett-Packard den Versuch, den renommierten und über lange Jahre höchst erfolgreichen Konkurrenten Compaq zu übernehmen. Die Sache wogte über Monate hin und her, viele Compaq-Aktionäre waren nicht bereit, das Unternehmen zu verhökern, und auch auf HP-Seite gab es Widerstand – u.a. vom Sohn des Firmengründers William Hewlett. Fiorina blieb hartnäckig, und im September 2001 war klar: HP zahlt für Compaq 25 Milliarden US-Dollar in Aktien. Damit war eines der größten M&A-Projekte – nicht nur in der IT-Branche – Wirklichkeit.
Ziel der Übung war es, sich als Mitbewerber des ewigen Giganten IBM auf Augenhöhe zu positionieren, die damals den B2C-Markt beherrschten. Wie Compaq in Texas ansässig war die 9184 gegründete Firma Dell der einzige ernstzunehmende Konkurrent. Aber Michael Dell sah besser in die Zukunft als Fiorina und setzte mit seinen Kisten auf den Massenmarkt. Dell PC wurden in Taiwan mit 08/15-Komponenten zusammengebastelt und ab 1990 in gewaltigen Stückzahlen per Mailorder vertickt. Das hatte im Bereich der IBM-Kompatiblen noch niemand versucht. Dell wurde aber nicht nur im B2B-Markt erfolgreich; immer mehr Freiberufler sowie kleine und mittlere Unternehmen bestellten ihre PCs ebenfalls im Versandhandel. Weder IBM, noch HP und Compaq konnten das mithalten.
Weil der Markt der Windows-Rechner für Unternehmen Ende der Neunziger aber weitestgehend gesättigt war und die potenziellen Kunden nur zögerlich nachkauften, geriet die ganze Branche in eine Krise. Die Aktienkurse fielen ab 1999 rapide, die Firmen entließen teilweise die Hälfte ihrer Angestellten, und ein von Billiganbietern angezettelter Preiskrieg machte es den großen vier der Branche schwer zu schaffen. Im Prinzip war Compaq neben Dell noch am wenigsten betroffen. Carly Fiorina vertrat schon zu Beginn ihrer Zeit als HP-CEO die Ansicht, dass nur Größe Wachstum möglich machen könnte. Als gelernte Geisteswissenschaftlerin mit großem Management-Talent übersah sie allerdings, dass die Absatzkrise auch eine Technikkrise war. Denn im Bereich der Windows-Rechner tat sich so gut wie nichts, Innovationen blieben aus.
Alle Desktop-PCs sahen sich ähnlich, und auch bei den Laptops, die über gut acht Jahre für das Wachstum der Industrie gesorgt hatten, waren nur noch am Logo auf der Klappe zu unterscheiden. Aus heutiger Sicht fanden Innovationen eigentlich nur bei Compaq statt. Dort hatte man sich intensiv mit Handheld-Computern befasst und eine Marktlücke erkannt: (fast) vollwertige Handheld-PCs, also Rechner, auf denen nahezu jede Art Software laufen konnte. Vorgestellt wurde der erste iPaq (der Name stammte von einer Reihe Compaq-Desktop-PCs) im April 2000. Auch HP hatte ein ähnliches Ding namens Jornada im Angebot, das aber eher als Konkurrenz zum damals massenhaft verbreiteten Palm Pilot gedacht war.
Nach der Übernahme wurde der Jornada eingestampft, und HP investierte eine Menge in die Weiterentwicklung des iPaq Pocket PC, dessen Anwendungsmöglichkeiten weit über die eines PDA (Personal Digital Assistent) hinausgingen. Das lag einerseits daran, dass es schon für die ersten Modelle mit dem Betriebssystem Pocket PC jede Menge Software gab, dass man solch einen iPaq eben nicht nur als Terminkalender, Adressensammler, Notizblock und Taschenrechner nutzen konnte. Pocket PC stammte von Microsoft und war eine Version von Windows CE, dem Windows für leistungsschwache Desktop-PCs. 2002 wurde das System dann offiziell zu Windows Mobile, das in der Folge stramm auf Handheld-PCs wie den iPaq zugeschnitten wurde.
Es ist ein Treppenwitz der Computergeschichte, dass der iPaq bis heute(!), also mehr als ein Dutzend Jahre nachdem die Produktion eingestellt wurde, in nennenswerten Stückzahlen gehandelt wird, selbst neu und OVP sind die letzten Modelle noch zu haben – aus welchen Quellen auch immer. Das liegt daran, dass viele Anwender weltweit, diesen Handheld als Werkzeug in ihre tägliche Arbeit integriert haben, teilweise mit speziell entwickelter Software und/oder Hardwareerweiterungen. Für den Rest von uns killten Apples iPhone und Android-Smartphones sowohl den PDA als auch den Handheld-PC für immer.
Fiorinas Plan ging nicht auf. HP war nach der Übernahme von Compaq in Sachen Desktop-PCs und Laptops noch tiefer in die Krise gerutscht und überlebte vermutlich nur dank der überaus erfolgreichen Drucker, die über einige Jahre den Markt fast komplett beherrschten. Inzwischen ist das Unternehmen einer der soliden Mitspieler im Markt, sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich. Immer wieder hat man versucht, die Marke Compaq am Leben zu erhalten. So wurde einige Jahre lang eine Produktlinie namens „Elite“ unter dem Compaq-Siegel vertrieben. 2013 legte HP die Marke Compaq dann ganz still, und 2015 verkaufte man den Namen an eine obskure argentinische Firma, die plante, Computer für den lokalen Markt unter dieser Marke zu verkaufen.
Der Erfolg von Compaq, das 1982 von Rod Canion, Jim Harris und Bill Murto gegründet wurde, beruhte in den Anfangsjahren vor allem auf der Innovationskraft des texanischen Unternehmens. So war Compaq der erste Hersteller von tragbaren IBM-Kompatiblen, die unter MS-DOS liefen. Auch in diesem Punkt war Compaq Pionier, denn es war das erste Unternehmen, das ganz legal das Betriebssystem re-engineeren ließ und dafür 1983 eine ganze Million US-Dollar in die Hand nahm. Gleichzeitig waren die Manager klug genug, frühzeitig in den Massenmarkt der IBM-kompatiblen Rechner einzusteigen. Aber auch der erste PC mit einer 80386-CPU neben IBM stammt von Compaq.
Aus heutiger Sicht fragen sich viele Beobachter, die damals schon dabei waren, was genau schiefgelaufen ist, dass Compaq von HP geschluckt werden konnte, wo doch viele Faktoren eher für eine umgekehrte Übernahme sprachen. Ja, es gibt sogar Analysten, die der Ansicht sind, Compaq hätte noch vor Apple erster Anbieter eines Smartphones werden können, denn tatsächlich gab es schon 2005 eine Erweiterungsmöglichkeit des iPaq mit Telefoniefunktionen. Selbst die Integration einer Kamera und eines GPS-Moduls war vorgesehen. Und vermutlich wäre Compaq dank seiner Pocket-PCs halbwegs sauber durch die PC-Krise der frühen Nullerjahre gekommen. Aber, auch hier gilt: Hätte, hätte, Fahrradkette…
[Bildquellen – Compaq Armada: Nize via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 2.0 DE; HP iPaq 214 via amazon.de; HP Compaq Elite via amazon.de; Compaq Portable I via The Old Computers Museum; Compaq Headquarter: Houston Northwest Chamber of Commerce]