Vielleicht kann man die Historie des Hauses Novell am ehesten als Geschichte von Hybris und dramatisch falscher Markteinschätzung lesen. In ihrem Kerngebiet, der Netzwerktechnologie, war dieses Unternehmen einst riesengroß. Ja, es gab ungefähr zehn Jahre (etwa von 1983 bis 1993) da wurde der Name des Hauptprogramms NetWare synonym für LAN-Software verwendet. Die Anteilseigner der Corporation scheffelten Kohle wie die Blöden, die Novellis – so nannte man liebevoll die Mitarbeiter – wurden verwöhnt, und es heißt, Novell-Vertriebler hätten deutlich mehr verdient als die Kollegen der IBM. Und dann wuchsen den Entscheidern gewaltige Rosinen in den Hirnen.
Man strebte die Weltherrschaft an und hielt sich für mindestens ebenso groß wie Microsoft. Und Bill Gates‘ Laden war die Hauptzielscheibe. Es war die Phase der PC-Historie, in der Microsoft Novell mit Windows NT angriff und sich Novell dadurch wehrte, dass sie auf dem Markt der Office-Suiten wilderte. Zuvor hatte man den Goliath bereits durch die Übernahme von Digital Research gepiekst, denn versehen mit der Benutzeroberfläche GEM war DR DOS ein ernsthafter Konkurrent und dem Original in mancher Hinsicht überlegen.
Leider redeten die Novellis den DR-Entwicklern ständig rein, sodass diese viele Dinge, die sie geplant hatten, unter den Tisch fielen ließen. Damit verlor das nun NovellDOS genannte Betriebssystem den Anschluss, wurde als OpenDOS in die Open-Source-Wildnis entlassen und fristete danach noch als DR-DOS (mit Bindestrich!) ein tristes Leben in der Nische.
Gerade in der Computerei gilt: Geschichte wiederholt sich, wenn überhaupt dann als Tragödie oder Farce. Als das NetWare-Business langsam, aber deutlich in die Binsen ging, kauften die damaligen Novell-Chefs Softwareunternehmen auf – ohne Sinn und Verstand, wie sich später herausstellte. Sich in Kooperation mit den Unix System Laboratories im zugehörigen Markt zu versuchen, war nachvollziehbar, aber das entstandene Produkt namens Univel spielte nie irgendwo eine ernsthafte Rolle.
Man ging weiter shoppen. Von Borland kaufte man nur die Tabellenkalkulation Quattro Pro, die vielen Anwender:innen bis heute als MS Excel überlegenes Tool gilt, und war auch daran interessiert, den Laden komplett zu übernehmen. Das tat man 1994 mit der WordPerfect Corporation – man war scharf auf deren Textverarbeitung und das zugekaufte Corel Draw. Nach wenigen Monaten wurde klar: Hier hatte ein mittelgroßer Fisch einen etwas größeren Karpfen geschluckt. Denn die so hinzukommenden Leute von WordPerfect erwiesen sich als in der Überzahl und einigermaßen dominant.
Kulturell passte das überhaupt nicht. Auch wenn Novell wie WordPerfect aus Utah kam, trafen ein Haufen hedonistischer Entwickler und Vertriebler auf eine Übermacht mormonisch geprägter Leute mit einem ausgeprägten Moralkompass, den diese im Firmeninneren auch deutlich anwandten. Wer Novell Deutschland vor und nach der Fusion mit WordPerfect im Düsseldorfer Hauptquartier erlebte, fand eine in sich tiefgespaltene Firma vor.
Zudem wollten sich die Anwendungen WordPerfect, eine hervorragende Textverarbeitung, die seinerzeit WordStar aus dem Markt gefegt und den Übergang zu Windows bestens gemeistert hatte, Quattro Pro und die Bildverarbeitung Corel Draw nie so recht zu einer einheitlichen Suite zusammenfinden. Im Markt der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre spielte diese Combo nur eine Nebenrolle. Zumal Microsoft Office sich innerhalb weniger Jahre zum absoluten Standard entwickelt hatte.
Schlimmer konnte es so um 2000 herum für Novell kaum aussehen: Im Markt für Anwendungssoftware marginalisiert, das De-facto-Monopol bei der Netzwerksoftware verloren, im UNIX-Sektor nicht sehr wichtig und den Weg ins Internet fast verschlafen. Auch die mit großen Hoffnungen gelaunchten Dienste wie NDS (Novell Directory Services) wurden nicht zu Kassenschlagern. Von 1998 bis 2004 wurde die Belegschaft um 80 Prozent reduziert, die Umsätze sanken ins Bodenlose, die Profite ebenfalls. Der prächtige deutsche Firmensitz in Düsseldorf-Heerdt wurde aufgegeben, und man zog in ein schmuckloses Bürohaus direkt am Autobahnzubringer um.
Die komplett neue Unternehmensleitung in den USA setzte nun auf ein ganz neues Pferd und kaufte 2004 die Suse Linux AG. Man wandelte die Firma in eine GmbH um und integrierte sie komplett ins Novell-Universum (das inzwischen mehr nach WordPerfect schmeckte als nach Novell). Nach langem Hickhack sprachen US-Gerichte Novell das Copyright an Unix zu, was aber auch nicht mehr viel nutzte. In der immer wieder verzweifelten Lage suchte man die Kooperation mit Microsoft, die sich gnädig darauf einließ, ihren Großkunden Suse Linux zu verkaufen, wenn diese das denn wirklich unbedingt wollten.
2010 übernahm Attachmate Novell, die 882 Novell-Patente gingen an ein Konsortium, an dem auch Microsoft und Apple beteiligt sind. Und im Jahr 2014 wurde Novell als Unternehmen vollständig abgewickelt; der Name Novell existiert seitdem nur noch als Marke im Portfolio der Firma Micro Focus. Wer aber in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren für Novell gearbeitet hat, schwärmt noch heute von diesem Unternehmen … und gibt den Leute von WordPerfect die Schuld am Untergang.
und diese Manager gingen dann zu Nokia