So sah es aus, VisiCalc auf einem Apple II (Screenshot via computerhistory.com)

Fast vergessen (22): Was wurde eigentlich aus VisiCalc – der Mutter aller Tabellenkalkulationen?

Da wird sich Dan Bricklin an seine Schulzeit erinnert haben und das Addieren von Zahlenkolonnen. Oder er hat an die Tabelle der NFL gedacht. Oder an einen Kalender. Oder an die Buchhaltung im alten Mesopotamien. Denn das Anordnen von Werten in Zeilen und Spalten ist so alt wie der Wunsch von Menschen, Dinge ordentlich darzustellen und möglicherweise zu berechnen. So gesehen ist die Tabellenkalkulation die älteste Anwendung überhaupt.

Natürlich kennen Ingenieure dieses Hilfsmittel auch schon seit Urzeiten, zum Beispiel zum Erfassen und Auswerten von Messwerten. Dan Bricklin aber, der Mann, der das Konzept für das entwickelte, was wir heute vor allem in Form von Excel kennen, war ein BWLer. Aber damals in den frühen Siebzigern einer, der schon viel früher Erfahrungen mit dem Programmieren gemacht hatte. Wie lange er die Idee für diese Anwendung mit sich herumtrug, ist nicht bekannt. Dafür allerdings, dass er schon vor seinem MBA am legendären Textverarbeitungsprogramm WPS-8 für die PDP-11 von DEC arbeitete, finden sich Spuren.

Apple machte Werbung mit und für VisiCalc (Foto: apple.com)
Apple machte Werbung mit und für VisiCalc (Foto: apple.com)

Und dann kam er mit Bob Frankston zusammen. Sie gründete die kurzlebige Firma Software Arts und schufen VisiCalc („visible calculator), die Mutter aller Tabellenkalkulationen. Die Grundidee war es, ein Dokument mit Zeilen und Spalten anzulegen, wobei jeder Schnittpunkt eine Zelle bildete. Noch heute gilt diese Terminologie für alle entsprechenden Programme. So weit, so simpel. Die originäre Erfindung aber die der Formel. Auch eine Formel wurde in eine Zelle eingegeben und konnte dann mit den Werten referenzierter Zellen Berechnungen anstellen.

Dan Bricklin in jungen Jahren (Foto via bricklin.com)
Dan Bricklin in jungen Jahren (Foto via bricklin.com)

Dan Bricklin selbst erzählte, seine ursprüngliche Idee sei die einer Kombination aus Taschenrechner und Projektor gewesen, ja, er habe diese Konstellation sogar geträumt. Der Anwender hätte mit einer Art Maus mit Tasten auf eine Zelle in der projizierten Tabelle gezeigt und dann dort einen Wert oder eine Formel eingegeben. Damit wollte er den Medienbruch zwischen dem Pocket Calculator und der mit Stift und Papier verfertigten Tabelle überwinden. Ganz schön visionär…

Bob Frankston in einem Google-Video (Screenshot)
Bob Frankston in einem Google-Video (Screenshot)

Bei VisiCalc waren die Spalten mit Buchstaben bezeichnet, die Zeilen mit Ziffern. So trug jede Zelle einen eindeutigen Namen, beispielsweise D7. Um die Werte zweier Zellen zu addieren, trug man in die Zelle D9 einfach eine Formel wie „=D7+D8“ ein und erhielt das Ergebnis in der Zelle mit der Formel. Zunächst beherrschte VisiCalc alle Grundrechenarten, aber auch schon die Prozentrechnungen und stellte einen Satz statistischer Funktionen (Durchschnitt, Maximum, Minimum etc.) zur Verfügung.

Um es ganz klar zu sagen: ALLE folgenden Tabellenkalkulationen, ob Multiplan oder Lotus 1-2-3 oder MS Excel arbeiteten und arbeiten noch heute nach demselben Prinzip. Wichtig auch, dass man in VisiCalc-Tabellen auch Texte als Kommentare eingeben konnte. Wirklich schwierig zu codieren war das nicht, sodass aus dem Konzept nach wenigen Wochen eine marktreife Version für Apple-II-Rechner fertig war, die von den beiden im März 1979 auf der legendären West Coast Computer Faire präsentiert wurde. Dort nahm sich Fylstra der Sache an und sorgte mit seinem Unternehmen mit dem einfachen Namen Personal Software für die Realisierung bis zur Marktreife.

Bedienungshilfe für VisiCalc (via computerhistory.com)
Bedienungshilfe für VisiCalc (via computerhistory.com)

Aus Personal Software wurde 1982 Visicorp, und für knappe drei Jahre beherrschte das Unternehmen den noch schmalen Markt der Tabellenkalkulationen und brachte Portierungen für den Apple III, für Atari 400 und 800, den Commodore PET, den TRS-80 und auch für IBM PC auf den Markt. Allerdings tat sich die Firma mit der Entwicklung weiterer Software ein bisschen schwer. Denn der einzige Bereich, in dem man damals noch hätte reüssieren können, war die Textverarbeitung, und da war WordStar der unumschränkte Platzhirsch. Man war aus Massachusetts ins Silicon Valley gezogen und kaprizierte sich auf Größeres. Dabei entstand Visi On, die erste grafische Benutzeroberfläche für persönliche Computer.

Werbung der kurzlebigen Firma Personal Software (via computerhistory.com)
Werbung der kurzlebigen Firma Personal Software (via computerhistory.com)

Der Misserfolg von Visi On – ausgelöst vor allem durch den Apple Mac, aber auch von GEM und MS Windows – brachte Visicorp in Schieflage. Zumal es Streit zwischen Fylstra und den Software-Arts-Gründern Bricklin und Frankston gab. Dazu eine Reihe für die damalige Zeit nicht unüblicher Managementfehler. Dann kam Lotus 1-2-3, das auf Anhieb den Markt der DOS-Welt eroberte und VisiCalc dort in kürzester Zeit vollständig verdrängte. Kein Wunder, dass Lotus bald VisiCalc übernahm und rasch einstellte.

Visicorp brach zusammen, und CDC kaufte die Marke, ohne sie je ernsthaft zu betreiben. Dan Bricklin blieb Erfinder und erdachte und realisierte verschiedene Anwendungen, wurde mit Auszeichnungen überhäuft, spielte aber als Unternehmer in der IT nie eine große Rolle. Man sagt ihm nach, dass er ziemlich eigensinnig ist und bis heute vor Ideen nur so sprudelt. Ganz ähnlich erging es Bob Frankston, der in mehreren bekannten Softwarehäusern seine Spuren hinterließ und heute vor allem als Business Angel unterwegs ist. Übrigens: Dan Bricklin war einer der Ersten, die ein öffentliches Weblog betrieben und bis 2018 aktiv gefüllt hat.

Die Geschichte von Bricklin und Frankston und VisiCalc ist typisch für die frühen Jahre des Silicon Valley, für den ewigen Clash zwischen Ingenieuren und Unternehmern. Letzteres waren Dan und Bob sicher nicht, denn sie kamen nicht auf die Idee, sich das Konzept und/oder Details der Tabellenkalkulation patentieren zu lassen. Hätten sie mal! Denn dann müssten heute noch Firmen wie Microsoft und Apple Jahr für Jahr Millionen an Lizenzgebühren an die beiden abführen.

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