Ja, da wollten wir alle rein, in die DFÜ, die Datenfernübertragung. Aber, der Gilb hatte es verboten. Also ließ ich mir, der ich löttechnisch nicht so begabt bin so gegen Ende 1985 von einem mir persönlichen bekannten, ähem, Hacker ein Datenklo nach dem Rezept der Hackerbibel bauen. Schwupps, ich war schon drin. Denn mit einem handelsüblichen, an das Telefonnetz der Deutschen Bundespost angeschlossenem Fernsprechapparat und diesem illegalen Akustikkoppler hatte ich Zugang zu dieser digitalen Welt da draußen, zu den BBSen und Mailboxen und all den fast vergessenen Datenaustauschplattformen der frühen Jahre.
Wie die Bezeichnung Akustikkoppler für diese Sorte Geräte schon andeutet, dienten sie dazu, akustische Signale (Ping, Fiep und Piep) in digitale Informationen umzuwandeln und umgekehrt. In den strikt analogen Fernsprechzeiten vor dem Hereinbrechen von ISDN in die streng umzäunten Gehege der Deutschen Bundespost, die wir wegen ihrer urinösen Farbe gern den Gilb nannten, gab’s im Netz eben nur Sprache, Töne und Geräusche. Irgendwie archaisch, aber eben auch sehr traditionell, denn so wurde das Telefonieren ja einst von Philipp Reis und Alexander Graham Bell erfunden, dass eben gesprochene Sprache über ein Mikrofon in elektrische Impulse umgewandelt, die per Draht über große Strecken übermittelt und am anderen Ende durch einen Lautsprecher wieder in Töne übersetzt wurden. Alles schön analog.
Die Idee, Töne als Signale im Telefonnetz zu verwenden, stammt aus der Evolution der Vermittlungstechnik. Hatte der Anrufende einem Fräulein vom Amt die gewünschte Rufnummer des Angerufenen genannt, stöpselte die Drähte um und stellte die Verbindung her. Um den Menschen an dieser Stelle zu ersetzen und Arbeitsplätze für Relais zu schaffen, mussten Signale her, mit denen die Schalter getriggert werden konnten. Und weil übers Telefonnetz immer noch nur Töne zu senden waren, wurden halt gewisse Pings und Bieps als solche Signale definiert. Übrigens wählte man dabei mit Bedacht Frequenzen, Tonhöhen und -längen, die in der gesprochenen Sprache nicht vorkommen.
Noch ein Übrigens: In einer wesentlichen Episode der Computerhackerei spielte ein gewisser Captain Crunch eine wichtige Rolle; er kultivierte das sogenannte „Phreaking„, bei dem es darum ging, die Telefongesellschaften zu überlisten, um kostenlose Ferngespräche zu führen. John Draper, so der bürgerliche Name des Pioniers, hatte herausgefunden, dass man mit einer Flöte einen Ton von genau 2600 Hertz erzeugen konnte, eine Frequenz, die in den AT&T-Telefonnetzen als Signal für kostenloses Telefonieren gewertet wurde. Gefunden hatte Draper das Ding in einer Cornflakes-Packung der Marke „Cap’n Crunch“ – daher sein Spitzname.
Die Fernsprechgesellschaften und -firmen weltweit machten sich also Töne zunutze, die kein Mensch so in den Hörer flöten könnte. Und weil man zur Übertragung von Daten ja eigentlich nur zwei verschiedene Töne – einen für die 1, einen für die 0 – braucht, lag die Datenübertragung per akustischer Signale übers Telefonnetz praktisch auf der Hand. Nun war hierzulande der Gilb a) Monopolist und b) eine Behörde mit ordnungsliebenden Beamten, die tierisch Angst davor hatten, dass a) ihnen jemand das Netz kaputtmacht oder b) für die, ähem, erbrachten Leistungen nicht zahlt. Also verboten die Maßgebenden der staatlichen Deutschen Bundespost jede Form der Datenfernübertragung mit Geräten, die nicht von ebendieser Bundespost für teuer Geld zu mieten waren.
Dass eine lustige Version von Herrn Kafka bei den zugehörigen Verhandlungen Regie führte, belegt folgende Anekdote. Um 1988 herum gab es auf dem US-amerikanischen Markt nicht nur preiswerte Akustikkoppler, sondern auch schon zauberhafte Modems, die man sich leisten konnte (wenn man irgendwie um den Zoll herum kam…). Nun war ich als Chefredakteur einer bekannten Computerzeitschrift offiziell nicht auf Seiten der Hacker, sondern musste den legalen Weg gehen. Also machte ich mich eines Tages auf zum Postamt des Viertels. In der Schalterhalle, in dem Bereich für Fernsprechbelange, sagte ich dem lauschenden Beamten, ich würde gern ein Modem haben. Momentan, sagte der, die sind doch verboten. Ich: Ja, aber nicht die zwei Modelle, die von der Deutschen Bundespost angeboten werden. Er: So was haben wir??? Ich wurde dann in ein Büro in der dritten Etage geschickt, wo der Experte für Modemfragen saß und mich dann ausquetschte, was ich denn mit dem Modem vorhätte.
Also blieb ich zunächst – im privaten Bereich; in der Redaktion taten Modems als Leihgeräte praktisch aller US-Hersteller ihren illegalen Dienst – beim Datenklo. Das hieß so, weil die beiden Gummimuffen für die beiden Ende des Telefonhörers aus dem Sanitärbedarf stammten, wo sie zur Verbindung von Rohren dienten. Die Muffen waren mit einem Draht verbunden, und an der fürs Mikro zuständigen Gummidings war eine Platine angeflanscht, die wiederum mit des Computers serieller Schnittstelle zu verstöpseln war. Bisschen Software noch, und die DFÜ-Reisen konnten starten. Mit 300 bis maximal 1200 Baud (= in diesem Fall Bit pro Sekunde, nicht etwa Byte…).
Damit konnte man in Bulletinboards (BBS) oder Mailboxen per Chat mit fernen Leuten kommunizieren, natürlich nicht in Echtzeit! Auch das Herunterladen von Software war möglich; um ein einfaches Progrämmchen downzuloaden, musste man aber mehrere Stunden besetzter Telefonleitung einkalkulieren. An so etwas wie Streaming war nicht im Traum zu denken. Und wenn ich per BBS mit einem gewissen PwnKng in Idaho Schach spielte, lag das Maximum an Action bei je zwei Zügen pro 24 Stunden und pro Nase.
Die DFÜ-Evolution schnitt rasch voran, die Akustikkoppler wurden immer größer und schwerer, aber preiswerter sowie schneller. Es gab Akustikkoppler, die vom Design her zum jeweiligen Rechner passten, welche mit vielen, vielen Kontrollleuchten. Manche, die nicht so gut auf bundesdeutsche Telefonhörer passten und andere, deren Gummimuffen man regelmäßig pflegen mussten, damit sie nicht zerbröselten. Bald kamen die ersten mobilen Akustikkoppler, todschicke, oft quietschbunte Muffenpärchen mit einem winzigen Kästchen für die Verbindung mit dem Schlepptop.
Und schon kurz bevor das Internet seine Tore öffnete, war der Akustikkoppler so out, wie irgendwas nur out sein konnte. Ich aber vermisse noch heute manchmal das ping, ping, ping, ping, fiiieeep, fieeep, biep, mit dem das Ding sich ins Netz wählte:
[Bildnachweise – Datenklo/Schaltplan: Hackerbibel; Dataphon S21: Erkaha via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 DEED; Atari 830: via ATARI Bit Byter User Club; Anderson A211: via computinghistory.org.uk; Ascom-Koppler: Polluks via C64-Wiki; Cap’n Crunch Whistle: 1971markus via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 DEED]