Escom Filiale anno 1998 (Foto via Wikimedia; siehe Bildnachweis unten)

Fast vergessen (4): ESCOM – Computer vom Orgelschmitt

Zufälle gibt’s… Das englische Wort für Tastatur ist bekanntlich „keyboard“, wobei es im englischen nicht nur die Eingabeeinheit eines Computers meint, sondern auch die Tasten eines Pianos oder einer Orgel. Der Zufall will es, dass zwei Männer, die beide die deutsche Computerszene der Achtziger- und Neunzigerjahre entscheidend geprägt haben, beide von den Tasteninstrumenten kamen. Während VOBIS-Boss Theo Lieven zeit seines Lebens ambitionierter Amateur am Flügel blieb, war ein gewisser Manfred Schmitt auf dem Weg Konzertpianist zu werden als ihn die Aussichten auf möglicherweise brotlose Kunst zu den Ingenieurwissenschaften brachten. Was als Orgelschmitt begann, mauserte sich über die Jahre als ESCOM und war kurz davor zu den fünf umsatzstärksten PC-Hersteller der Welt zu werden.

Eines der ganz wenigen offiziellen Fotos von Manfred Schmitt aus einer ESCOM-Pressemappe (ca. 1994/95)
Eines der ganz wenigen offiziellen Fotos von Manfred Schmitt aus einer ESCOM-Pressemappe (ca. 1994/95)
Bezieht man als dritte wichtige Unternehmerpersönlichkeit der deutschen Computerbranche noch Dr. Achim Becker, zusammen mit seinem Bruder Harald Gründer von DATA BECKER, mit ein, wird die ganze komische Gemengelage der Frühzeiten der Computer für jedermann sichtbar. Achim Becker selbst war heftiger Computer-Freak, Theo Lieven entdeckte im Studium eine Marktlücke, und Manfred Schmitt kam von der elektronischen Orgel, die in Siebzigerjahren gern von bastelwilligen Herren ihren musikbegabten Gattinnen als Bausatz bestellt wurden. Lieven kam von der Mathematik, Schmitt von der Elektronik und Becker vom Verkaufen. Diese unterschiedlichen Wege prägten auch die Beziehung der Herren untereinander. Als die ESCOM-Filiale am Düsseldorfer Hauptbahnhof eröffnet wurde und mehr Verkaufsfläche aufwies als der Data-Becker-Laden in Bilk, machte sich Dr. Becker noch über „diesen Orgelschmitt“ lustig – ganz aus der Perspektive desjenigen, der Pionier der Heimcomputer war.

Über das Verhältnis von Lieven zu Schmitt ist wenig bekannt, was auch daran liegen mag, dass der VOBIS-Tycoon öffentlichen Auftritten unterschiedlichster Art nicht abgeneigt war, während sich der Orgelschmitt gern im Hintergrund hielt. Als ESCOM pleiteging, konnte es sich Lieven aber nicht verkneifen, seinem Konkurrenten beißenden Spott nachzuwerfen. Die Parallelität geht weiter. Während Achim Becker sein Bruder Harald als Finanzmensch zur Seite stand und Ralf Fraling der technische Kopf an Lievens Seite war, ist ESCOM ohne Karl-Michael Eickmeyer nicht vorstellbar, denn der steuerte nicht nur das E zum Firmennamen bei, sondern war in erster Linie Manager mit einem Händchen für den Vertrieb. Wer damals in der Nähe war, wird auch zustimmen, dass es Eickmeyer war, der 1993 den Börsengang wuppte.

Damals eine Design-Sensation: Der schwarze ESCOM-PC
Damals eine Design-Sensation: Der schwarze ESCOM-PC
Ab etwa 1990 sah es für alle Player im brodelnden Markt von PC- und Homecomputer-Hard- und Software so aus, als sei der Himmel offen und ein Ende des Wachstums nicht absehbar. Die Eigenmarken von VOBIS (Highscreen) und ESCOM gingen wie geschnitten Brot; sowohl bei Firmenkunden, als auch bei Otto Normalkonsument, der nun auch endlich auf PC umsteigen wollte. Wie jede junge Branche war aber auch dieser Wirtschaftszweig krisenanfällig. Dank der grassierenden Raubkopiererei brachen schon 1990/91 die Umsätze mit Software für Homecomputer ein, 1993 dann der Computerbuchmarkt, und 1996 war dann auch die Hardware dran. Jedenfalls im Niedrigpreissektor, in dem sich sowohl VOBIS, als auch ESCOM tummelten. Geld war bei geringen Margen nur über Stückzahlen zu verdienen, und über das Jahr 1996 erschien der Markt fast gesättigt.

Möglicherweise der letzte Commodore - made by ESCOM (Foto: reddit - siehe Bildnachweis unten)
Möglicherweise der letzte Commodore – made by ESCOM (Foto: reddit – siehe Bildnachweis unten)
Das Spiel mit den kleinen Preisen ging so lange gut, wie in Asien (vor allem Taiwan) immer billiger produziert werden konnte. Ab einem gewissen Punkt ließ sich aber weder die Produktivität steigern, noch konnte man die Preise für die Bauteile weiter drücken. Davon waren weltweit alle Billigheimer betroffen, nicht bloß VOBIS und ESCOM. Die Mark machten schon seit einigen Jahren wieder die Großkopferten der Branche (IBM, HP, Compaq) und die neuen Wilden, die weg vom Ladeverkauf gingen – übrigens ein Weg, den VOBIS mit seinen legendären Katalogen auch eine Weile erfolgreich mitging. Bei ESCOM rächte sich jetzt auch, dass man nur eine sehr dünne Vertriebsmannschaft in Richtung mittelständischer Unternehmen aufgebaut hatte und bei Großunternehmen (wo hierzulande Siemens die Füße in den Türen hatte) keinen Stich bekam.

Eine ESCOM-Aktie - Nennwert 5 Mark
Eine ESCOM-Aktie – Nennwert 5 Mark
So blieben die Jahre zwischen 1990/91 und 1996 die goldene Zeit von ESCOM – als drittgrößter Computerhersteller in Europa mit über 500 eigenen Filialen in 10 Ländern, drei eigenen Produktionsstätten in Europa und über 2.000 Mitarbeitern bei einem Umsatz von über 2,3 Milliarden DM (1994). Was folgte könnte man mit dem bekannten Romantitel „Irrungen & Wirrungen“ etikettieren. In der Zeit der größten Blüte hatte man die Rechte an den Marken des abgestürzten Computerriesen Commodore samt Amiga gekauft … und verlor viel Geld. Man expandierte auf Teufel-komm raus … und verlor viel Geld. Im Juli 1996 war ESCOM bankrott, Schmitt trat zurück und gab sein Amt an Helmut Jost, den EX-IBM-Mann und Commodore-Geschäftsführer ab. Da waren bereits Siemens Nixdorf, die Quelle-Schickedanz-Gruppe und die HypoVereinsbank als Gesellschafter an der ESCOM AG wesentlich beteiligt. Zwischendurch hatte Schmitt das Telekom-Haus Hagenuk gekauft und in die Gewinnzone geführt, aber dem Kerngeschäft ging es schlecht.

Blöd für Manfred Schmitt, dass ihm der Konkurs von Hagenuk angelastet wurde, ja, dass die Staatsanwaltschaft Kiel gleich Untreue und Bilanzfälschung vorwarf. Spektakulär seine Festnahme 2002 im Libanon samt Auslieferung in die Bundesrepublik. Dass der Prozess 2007 eingestellt wurde, muss er als Genugtuung empfunden haben. Aber, mit seinem Baby, der ESCOM AG hatte das alles schon nichts mehr zu tun. Als Handelskette existierte ESCOM nach der sukzessiven Schließung der Läden zwischen 1997 und 2000 nicht mehr, als PC-Marke auch nicht. Dabei war Schmitt seiner Zeit weit voraus. Er dachte damals schon in Multimedia-Kategorien, erkannte die zukünftige Bedeutung der Telekommunikation früh und war einer der Ersten, die sich konkrete Gedanken über die Integration von elektronischen Komponenten in Autos machte. So richtig legendär wurde aber – auch hier wieder die Parallele zu VOBIS mit dem berühmten Colani-PC – nur ein einzige PC-Serie aus dem ESCOM-Stall: die tiefschwarzen Black-Label-PCs, die in den Zeiten der ewige beigen Rechner hervorstachen.

[Bildnachweis – Titelbild: Schnatzel via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0; Pressefoto Manfred Schmitt: Scan aus einer ESCOM-Pressemappe; letzter Commodore PC via reddit; ESCOM-Aktie via schoene-aktien.de]

7 Gedanken zu „Fast vergessen (4): ESCOM – Computer vom Orgelschmitt“

  1. wenn ich mich richtig erinnere hat m.sch. 40000 pc produziert
    die nicht die höchste performance brachten und wie blei im lager
    liegen blieben

  2. Es war der P60, der Escom das Genick brach. Erinnere mich noch (habe damals selbst da gearbeitet) wie wir versuchen mußten die P60 anzuverkaufen, was am Schluss wirklich nur noch mit massivem Preisnachlässen funktionierte. Der P60 war auch eine Fehlgeburt von Intel, der P90 kam viel zu früh zu nahezu dem gleichen Preis. Egal, es waren lustige Tage damals im Escom Shop, aber auf Dauer wollte ich das nicht machen. Als Studi war es ein lustiger Job…

  3. Oh ja, ich erinnere mich auch gerne an die Zeit bei ESCOM zurück. Auch ich war damals Studi und arbeitete von 1992 bis zum Konkurs 1996 einige Stunden pro Woche in einer ESCOM Filiale. Cool war auch, daß ich für zwei Wochen einmal ganz allein die Filiale geleitet habe – als Verkäufer, Techniker und Filialleiter in Personalunion während der eigentliche Filialleiter im Urlaub war.

  4. In Frankfurt am Main arbeitete ich ab 1987, zunächst im Rahmen eines Berufspraktikums, dann später als freier Mitarbeiter, im dortigen Computer-Schmitt (Große Friedberger Str.). Als AMIGA-Spezialist musste ich mit den PCs glücklicherweise kaum was machen…

  5. „ist ESCOM ohne Karl-Michael Eickmeyer nicht vorstellbar, denn der steuerte nicht nur das E zum Firmennamen bei“
    Das ist nicht richtig, denn ES bedeutet einfach S. Und ESCOM selbst bedeutete Schmitt-COMputer, also ESCOM.

  6. Hallo zusammen. Ich habe in Wiesbaden bei M. Schmitt im Büro gearbeitet, tolles Team und M.Schmitt war ein super Chef.

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