Noch bis Mitte Mai zeigt der Düsseldorfer Kunstpalast die Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno„. Als großer Fan der genialen Band mit dem vielsagenden Namen und ehemaliger Anhänger der tanzbaren Tsing-Tsing-Mucke war ich nun schon zweimal da. Es gibt unter den mehr als 500 Ausstellungsstücken so viel zu entdecken. Die im ersten Raum nachgebauten Werkstätten und Labore der Pioniere der elektronischen Musik haben mich fasziniert. Und da dachte ich mir: Wo kommt die elektrische Musik her, wie hat sie sich entwickelt, und wo steht sie heute? Hier der erste Teil der kleinen Weltgeschichte der elektrischen Musik.
Jede:r, der:die ein Smartphone betatschen kann, kann heutzutage elektronische Musik machen. Da gibt’s Apps für Sphärenklänge, (fast) vollständige Synthesizer, Sampler und alles, was man braucht, um moderne Musik zu komponieren und zu produzieren. Ein Besucher der Ausstellung, der sich als Musikproduzent outete, meinte: „Du kannst auf deinem Handy praktisch ein Highend-Tonstudio der Nullerjahre nachbauen – eins zu eins.“ Ja, dachte ich bei mir, und vor rund 30 Jahren brauchtest du dazu noch mehrere Apple Macs, Commodore Amigas oder Atari ST sowie ein paar Klaviaturen und die passende Software.
Mitte der Achtziger hatte die Computertechnik nicht nur Einzug in die Tonstudios gefunden, sie hatte dort bereits die Macht übernommen. Gehen wir wieder dreißig Jahre zurück in die Fünfziger, landen wir in der Frühzeit der elektronischen Musik, die damals noch ganz klar Teil der experimentellen und hochintellektuellen E-Musik war. Digital war da noch nichts, elektrischer Strom diente der Erzeugung merkwürdiger Töne, und das Magnettonband bildete die Grundlage verrückter Experimente. Die beiden wichtigsten Komponisten, Erfinder und Pioniere waren Pierre Schaeffer und Karlheinz Stockhausen.
Schaeffer, der sein Geld als Toningenieur beim französischen Staatsrundfunk verdiente, war gleichzeitig Techniker und Musiktheoretiker, der ein ganz eigenes und ziemlich neuartiges System von Tönen und Klängen entwickelte, das auf dem Begriff des „Klangobjekts“ beruhte. Weil seine Musik weit über das hinausging, was virtuose Solisten und klassisch besetzte Orchestren nachzuspielen vermochten, wandte er sich bereits Ende der Vierzigerjahre der elektrischen Klangerzeugung zu.
Verrückt genug: Etwa gleichzeitig stand auch der etwa gleichaltrige Kerpener Stockhausen vor ähnlichen Problemen. Auch er hatte eine eigene Musiktheorie entwickelt und für seine ab 1950 entstehenden Kompositionen eine eigene Notation erfunden. Während Schaeffer vom Rundfunk kam, hatte Stockhausen das Glück, vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) beauftragt zu werden, ein Labor für neue, elektronische Musik aufzubauen und zu betreiben – ein Teil davon ist aus den Originalgeräten nachgebaut in der Ausstellung zu sehen.
Aber, die elektrische Klangerzeugung ist schon viel länger in der Welt als es die meisten Konsument:innen der aktuellen Popmusik meinen könnten. Denn das Clavessin électrique des französischen Geistlichen Jean-Baptiste Delaborde führte dieser bereits 1759 staunenden Wissenschaftlern vor. Allerdings nutzte das Clavessin lediglich statistische Elektrizität. Es dauerte mehr als 100 Jahre bis der deutsche Uhrmacher, Erfinder und Direktor der Telegraphenfabrik Neuchatel, Matthäus Hipp, im Jahr 1867 ein elektromechanisches Klavier vorstellte. Weil er alle möglichen Geräte elektrifizierte, nannte man ihn auch den „schweizer Edison“ – sein Lieblingskind war der Elektromagnetismus, der ihm half, präzise Ein-Aus-Schalter zu bauen. Patentfähig wurde die Idee erst um 1890 herum als der Berliner Rechtsanwalt Dr. Richard Eisenmann das „Elektrophonische Klavier“ entwickelte, bei dem die Saiten wie üblich durch Hämmer angeschlagen wurden, die aber elektromechanisch gesteuert waren.
Mit der Entwicklung der Telegrafie und des Telefons kam parallel dazu die Tonerzeugung durch elektrische Baugruppen in Schwung. Das Prinzip der elektrischen Telegrafie basiert ja darauf, dass Töne in elektrische Impulse verwandelt werden, die man per Draht oder Funkwellen über große Entfernungen versenden kann und die beim Empfänger wieder in Töne umgewandelt werden. Die folgerichtige Evolution ist dann die Umwandlung menschlicher Sprache in elektrische Impulse und wieder zurück – die Telefonie. Und wenn man das mit der menschlichen Stimme machen kann, dachten um die Wende zwischen de 19. und dem 20. Jahrhundert Dutzende Erfinder überall auf der Welt, dann geht das auch mit Musik.
Edison erfand den Phonographen, der über ein halbes Jahrhundert als Grammophon den Menschen Musik brachte, die zuvor nur live zu hören war. Das elektrische Klavier wurde ab 1890 kontinuierlich weiterentwickelt. Aber auf die Idee, elektrische Musikinstrumente zu konstruieren, kamen nur wenige. Einer der ersten war ein gewisser Elisha Gray, der für seinen musikalischen Telegraphen erstmals Oszillatoren einsetzte, also elektrische Baugruppen, die definierte Schwingungen erzeugen können – die Grundlage für das, was später (analoge) Synthesizer genannt wurde.
Darauf konnten dann genialische Erfinder mit musikalischer Neigung wie Friedrich Trautwein und Lew Teremen aufsetzen. Der Russe Teremen, der sich nach seiner Einwanderung in die USA Leon Theremin nannte, erfand das sogenannte Ätherwelleninstrument, bei dem die Veränderung von elektrischen Feldern rund um Antennen durch die menschliche Hand oszillatorisch erzeugte Schwingungen modifizieren; das Theremin (das man übrigens immer noch kaufen oder selbst basteln kann) blieb bis auf den heutigen Tag das einzige berührungslos gespielte Musikinstrument.
In der zweiten Folge wird sich alles um den Übergang vom analogen zum digitalen Synthesizer, um Sequencer und Sampler und die Auswirkungen der Software auf die Art und Weise wie heute Musik gemacht wird, drehen.
Der direkte Vorgänger der heutigen Synthesizer aber war das Trautonium, das 1930 vorgestellt und dann vom (Film)Komponisten Oscar Sala zu einem vollwertigen Musikinstrument weiterentwickelt wurde. Beide Instrumente hielten ab den Vierzigerjahren vor allem Einzug in die Filmwelt – das Theremin hauptsächlich im Science-Fiction-Genre. Das Trautonium wurde außerdem von vielen Veranstaltern als legitimer Nachfolger der klassischen Kinoorgel begriffen, und in einigen großen Lichtspieltheater in den USA und in Europa wurden gewaltige Trautonien installiert.
Diese komplizierte Maschine veränderte sehr schnell die Hörgewohnheiten der Konsument:innen, weil man mit dem Trautonium zwar klassische Musikinstrumente nachahmen konnte, diese sich aber schlicht anders anhörten – vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einer traditionellen Pfeifenorgel und der Orgel, die der Ingenieur Laurens Hammond erfand. Mit dessen Hammondorgel kam die elektrische Klangerzeugung passgenau in die sich explosionsartig entwickelnde Popmusik der späten Fünfziger und frühen Sechziger.
Der wichtigste Schritt in Richtung auf das, was uns heute tagtäglich an elektrischer und elektronischer Musik umgibt, war dann die Erfindung und rasche Weiterentwicklung des Transistors, der eben nicht nur bei den „Elektronenhirnen“ die Befreiung von der teuren, stromfressenden und störungsanfälligen Elektronenröhre brachte. Nur mit Transistoren konnte ,der Gründervater des Synthesizers, Robert Moog, seine Vorstellung von einem universellen Klangerzeuger, der sich in Serie fertigen ließ und „klein“ genug für ein Tonstudio war, in die Realität bringen – der Moog-Synthesizer wurde 1966 patentiert und veränderte die Musikwelt für immer.