Todschick und alltagspraktisch - das ReMarkable 2 (Foto: remarkable.com)

Kleine Weltgeschichte der Stifteingabe – vom Schreiben, Zeichnen und Malen auf dem Bildschirm

Die Geschichte des Menschen als Künstler beginnt mit dem Stift. Schon die Höhlenmenschen malten ihre niedlichen Tiere mit Holzkohlestiften an die Felswände. Die Babylonier ritzten ihre Keilschrift mit einem Pen in die weiche Tontafel. Und die Mönche vor Gutenberg schrieben die Texte der heiligen Schrift mit Tinte und Feder ab. Und bis weit in die Sechziger haben die ABC-Schützen ihre Buchstaben noch mit dem Kreidegriffel auf die Schiefertafel gekratzt. Das heißt: Der Mensch braucht den Stiftmehr als die Tastatur. Womit wir beim Computer sind…

Der Momenta Pen Computer von 1991 - Shiraz Shivjis Lieblingskind
Der Momenta Pen Computer von 1991 – Shiraz Shivjis Lieblingskind
So um 1996 herum war „Pen Computing“ einer der heißesten Buzz-Begriffe der Computerei. Und das fast zehn Jahre nachdem die ersten Ingenieure das Ende der Tastatur einläuten wollten und PCs entwickelten, bei denen man Eingaben mit einem Stift auf dem Display vornahm. Wir wissen heute: Die Stifteingabe als Alternative zum guten, alten Keyboard war ein Irrweg. Nicht nur, weil mit dem iPhone und seinen Epigonen die Bildschirmtastatur für die Fingerbedienung kam, sondern weil nur wenige Nutzer*innen Texte tatsächlich schneller handschriftlich als per Tastatur eingeben können. Aber, der Stift, auch „Pen“ oder besonders gern „Stylus“ genannt ist nicht im mindesten tot. Ganz im Gegenteil…

Die Anwendung von Pens verteilt sich allerdings auf drei Kontinente: Als Ersatz für den Finger beim Tappen, bei der Texteingabe sowie beim Zeichnen und Malen. Und während das Thema „Eingabe“ auf das seinerzeit stark gehypte Pen-Computing zurückgeht, hat der Stylus im Grafikbereich bereits eine lange Karriere hinter sich. Der Pen als „künstlicher Finger“, der so um 2010, 2012 bei Smartphone-Usern ziemlich beliebt war, verschwindet dagegen langsam in der Versenkung.

Der Palm Pilot (Foto: privat)
Der Palm Pilot (Foto: privat)
Bleiben wir zunächst bei der Funktion von Stiften für die Eingabe von Texten. Viele, viele Jahre – etwa zwischen 1990 und 2000 – ging es dabei vor allem um die Handschrifterkennung. Die Idee (und der Herzenswunsch der Anwender) war es, dass ein System die Krakeleien auf dem Display, die als Buchstaben, Ziffern und Zeichen gedacht waren, erkennen und in ordentlichen Text, bestehend aus ASCII-Zeichen übersetzen könnte. Nun war ja der Pen-Computing-Vorreiter namens Apple Newton in dieser Disziplin eher so mittelgut. Und das hätte dem ganzen Thema beinahe den Garaus gemacht. Die anderen Antreiber der PDA-Welt, US Robotics, verzichteten beim Palm Pilot gleich ganz darauf – hier musste der Nutzer eine Art Steno erlernen, denn der Organizer konnte nur ganz bestimmte Symbole angemessen in Klartext transferieren.

Erst der Einstieg von Microsoft mit dem PDA-System Windows Mobile änderte die Lage – wenn auch langsam. Ab etwa 1998 konnte von einer brauchbaren Handschrifterkennung bei mit diesem System laufenden Geräten ernsthaft die Rede sein. Heute besteht das Problem nicht mehr: Ein knappes Dutzend verschiedener Systeme, teilweise ins OS integriert, teilweise als Plugin für diverse Anwendungen verfügbar, machen aus handschriftlichen, per Stift auf dem Display eingegebene Notizen (teils in Echtzeit) Textdateien für die digitale Weiterverarbeitung. Besonders bei den großflächigen Smartphones, die heute kaum noch jemand „Phablets“ nennt, gehört ein Stylus dazu, und der wird von den Usern auch gern benutzt.

Ein sehr früher Teleautograph (Abb.: public domain via Wikimedia)
Ein sehr früher Teleautograph (Abb.: public domain via Wikimedia)
Grundlage für jede Art Stiftanwendung ist die Digitalisierung, also die Umsetzung analoger Bewegungen in digitale Datenpäckchen. Dabei reicht die Geschichte zurück bis ins Jahr 1888 zum Telautograph, einer Maschine, die Bewegungen eines Stiftes auf einer Fläche über Potenziometer abgreifen, in elektrische Impulse übersetzen und per Telefonleitung versenden konnte. Auf der Gegenseite wurde dann ein Stift durch die eingehenden Impulse gesteuert und konnte so zu Papier bringen, was der Sender geschrieben oder gezeichnet hatte. Der Telautograph, der auch als Urvater des Fax-Gerätes gilt, wurde zwar nie der ganz große Hit, war aber in den USA bei verschiedenen Firmen und Institutionen bis weit in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts im Einsatz.

Autocad-Arbeitsplatz der frühen Jahre mit Grafiktablet (Foto: privat)
Autocad-Arbeitsplatz der frühen Jahre mit Grafiktablet (Foto: privat)
Das Prinzip (und vermutlich auch das zugrundeliegende Patent) des Telautograph führte 1957 zur Entwicklung des sogenannten „Stylators„, der zwar vor allem für die Handschrifterkennung gedacht war, aber bei Ingenieuren auf große Begeisterung als Eingabegerät beim Anfertigen von Konstruktionszeichnungen stieß. Der Nachfolger, das RAND Tablet von 1964, bereitete den Weg für das Grafiktablett als wichtigstes Werkzeug im Bereich des CAD (Computer-Aided Design) – das die altmodischen Zeichenbretter bzw. -maschinen der Architekten und Konstrukteure bis heute fast vollständig gekillt hat. Die Idee ist, Bewegungen der Hand mit dem Griffel auf einer ebenen Unterlage in Echtzeit in Linien auf dem Bildschirm zu übersetzen. Dazu müssen – siehe Telautograph – die Bewegungen des Stylus abgegriffen werden; und zwar in Bezug auf ein Koordinatensystem.

Denn die übersetzende Software muss jederzeit „wissen“, an welcher Position sich der Stift befindet. Und übrigens auch, ob er gerade aktiv zeichnet oder quasi stumm an eine andere Position gesetzt wird. Beim RAND Tablet löste man das Problem dadurch, dass ein feinmaschiges Netz dünner Drähte unter der Tablettoberfläche angebracht war, über das elektrostatische Impulse gelesen und verschickt werden konnten; der Stift war zu diesem Zweck über ein Kabel mit dem Tablett verbunden. Der technische Fortschritt bei den elektronischen Zeichenbrettern verlief bis Mitte der Siebzigerjahre relativ langsam, echte Innovationen fanden kaum statt. Man verfeinerte die Technik, due Tabletts wurden größer, die Genauigkeit gesteigert. Mit der rasanten Entwicklung der CAD-Software wurden die Zeichentabletts nicht mehr bloß zum Eingeben verwendet, sondern nahmen die Rolle eines multifunktionalen Bedienelements ein, mit dem man bestehende Zeichnungen editieren, ja, 3D-Modelle drehen und wenden konnte.

Ein Wacom-Intuos-Tablet (Foto: via Wikimedia, siehe Bildnachweise unten)
Ein Wacom-Intuos-Tablet (Foto: via Wikimedia, siehe Bildnachweise unten)
Die Zielgruppe der Grafik-Designer aber eroberte das Tablett erst mit dem Markteintritt der japanischen Firma Wacom, die 1984 das erste Gerät mit kabellosem Stift vorstellte. Weil die Wacom-Geräte auf Anhieb prima mit dem soeben vorgestellten Apple Macintosh harmonierten, blieb die Kombi Apple-Wacom im Designbereich über viele Jahre ein Traumpaar. Der kabellose Stift an sich aber revolutionierte das Zeichnen und Malen auf einer ebenen Unterlage nachhaltig. Nicht nur, weil die Arbeit so viel mehr der bekannten Tätigkeit mit Fineliner auf Papier entsprach, sondern weil der Stylus nun mehr Funktionen übernehmen konnte. Als Konkurrenz zur Maus konnte man Wacom-Tablets sehr früh nutzen; mit dem Stift ließ sich der Cursor positionieren, Klick und Doppelklick wurden durch eine bewegliche Spitze möglich.

Die Entwicklung ging weiter und führte schließlich zum EMR-Stift und dem zugehörigen Wacom-Patent. Die Abkürzung steht für „elektromagnetische Resonanz“ und hat das Schreiben und Zeichnen direkt auf dem Display entscheidend verändert. Wacom selbst beschreibt das Prinzip so:

Wacoms patentierte EMR-Technologie (elektromagnetische Resonanz) besteht aus einer Schicht von Sensoren, die sich hinter dem LCD-Bildschirm des Geräts und der gehärteten Glasoberfläche befindet. Die Sensoren sind in einem wechselnden vertikalen/horizontalen Gittermuster angeordnet. Jeder Sensor ist präzise kalibriert und sendet ein schwaches elektromagnetisches Signal aus. Gemeinsam generieren diese Signale ein Magnetfeld, dass sich in einem Bereich bis ca. 5 mm über der Glasoberfläche des Geräts erstreckt. [Quelle: Wacom]

Das Ziel ist erreicht: Die Arbeit mit einem EMR-Pen ähnelt dem Benutzen eines Bleistifts, Kugel- oder Faserschreibers auf verblüffende Weise, weil nun nicht nur die horizontale Bewegung ausgelesen wird, sondern auch der Druck der Spitze auf den Untergrund. Prinzipiell fühlt es an wie Stift auf Papier. Wäre da nicht das Problem mit der spiegelglatten Oberfläche der Displays. Grafiktabletts wurden immer schon mit mehr oder weniger rauen Materialen als Oberfläche gefertigt, um dem Zeichner das Gefühl von Papier zu vermitteln. Um das auch bei einem aktuellen Pad zu erreichen, bieten einige Hersteller nun Schutzfolien für die Displays an, die ebenfalls rauer sind als das Glas des Displays.

Ein hochmodernes Paper-Tablet (Foto: thegadgetflow.com)
Ein hochmodernes Paper-Tablet (Foto: thegadgetflow.com)
Der neueste Schrei aber sind sogenannten „Paper Tablets„, die noch einen, wenn nicht sogar zwei Schritte weitergehen. Sie treiben die Stift-auf-Papier-Analogie noch weiter. Angesagtester Vertreter ist das norwegische ReMarkable, das aktuell in der Version 2 vorliegt. Es handelt sich um ein ultradünnes, sehr leichtes Tablet mit E-Ink-Display unter angerauter Oberfläche. Die E-ink-Technologie, mit der allerdings keine Farben dargestellt werden können, kennt man vom E-Reader – der optische Eindruck ist tatsächlich der von Druckfarbe auf Papier. Außerdem setzt das ReMarkable auf die EMR-Technik, sodass unterschiedlich starker Druck aufs Display mehr oder weniger dicke Striche auslöst. Auf einem solchen Paper Tablet kann man wunderbar Notizen machen und mit Zeichnungen schmücken. Beim ReMarkable gibt es natürlich Handschrifterkennung, und PDFs können zum Anfertigen von Anmerkungen aufs Tablet übertragen werden. Weil solch ein Teil aber kein universeller Computer ist, dient ist tatsächlich nur dem Zweck, das Schreiben, Zeichnen und Malen mit Stiften und Pinseln auf Papier zu ersetzen.

Jedenfalls wird es langsam auch für Grafik-Designer und Künstler interessant, direkt auf einem Display zu zeichnen und zu malen und nicht den Umweg über ein Grafiktablett zu gehen. Besonders in der Welt der iPads macht diese Arbeitsweise gerade Karriere.

[Bildnachweis – Titel (ReMarkable Paper Tablet): remarkable.com; Teleautograph: via Wikimedia, public domain; Wacom-Tablet: Medvedev via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0;]

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