Es gab Zeiten, da sagten Promis in Talkshows: „Ich hab ja jetzt auch einen Blog.“ Heute heißt es: „Wir haben jetzt einen Podcast.“ Also, wo früher geschrieben und gelesen wurde, wird heute gelabert und gehört. So ändern sich die Zeiten. Aber das Prinzip ist dasselbe: Menschen verschaffen sich Öffentlichkeit über das Internet. Das begann praktisch mit der Freischaltung des World Wide Web. Die ersten Blogger taten das, was der Begriff „Weblog“ aussagt: Sie führten ein Tagebuch über ihre Reisen durch die unendlichen Weiten des WWW.
Anfangs bestanden Blogs vor allem aus Link-Empfehlungen samt zugehöriger Meinung. So um 2000 herum entstanden dann die ersten Weblog-Plattformen, die es jedermann und jederfrau erlaubten, eigene Seiten mit ständig neuen Beiträgen zu veröffentlichen, auch wenn sie keine Ahnung von HTML und PHP hatten. Blogger.com und Antville boten den User:innen simple Vorlagen und Formulare zum Eingeben von Text und Einfügen von Bildern. Das war einfach und bequem.
Als es in den USA schon eine richtige Blogger-Kultur gab, starteten Pioniere wie Jörg Kantel ihre Blogs – sein Schockwellenreiter ging am 24. April 2000 online und ist heute noch, wenn auch in veränderter Form, aktiv. Damals sprach man hierzulande noch vom Weblog und kürzte den Begriff mit DAS Blog ab. Inzwischen verwenden die meisten, die sich mit dem Thema befassen, die Form DER Blog – als käme das Wort irgendwie vom Block.
Bald folgten andere Blogger, die mehr wollten, also bloß ein bisschen zu erzählen, was ihnen so durch den Kopf ging. Da war der viel zu früh verstorbene Majo Heinze mit seinem Industrial Technology & Witchcraft (kurz: ITW). Rasch kamen Don Alphonso mit „Rebellen ohne Markt“ dazu, Robert Basic, der leider auch schon von uns gegangen ist, Thomas Knüwer mit Indiskretion Ehrensache, Mario Sixtus, Lyssa, Mercedes Bunz und und und. Ich selbst startete Mitte 2003 mit einem Blog namens Rainersacht … und wurde Einwohner von Klein-Bloggersdorf.
Denn die deutschsprachigen Blogger:innen war rasch bestens vernetzt. Was auch an einer Funktion lag, die man Blogroll nannte – eine Liste der Blog, die man den eigenen Leser:innen zur Lektüre empfahl. Außerdem las man sich gegenseitig und zettelte gern Diskussionen in den jeweiligen Kommentarspalten an. Bei einem Blogger-Treffen in Düsseldorf anno 2007 liefen sage und schreibe achtzehn Blogger:innen auf! In Berlin sollten es bei solchen Zusammenkünften bis zu 100 Teilnehmer:innen gewesen sein.
Und die Blogs begannen sich zu diversifizieren. Aus Gemischtwarenläden wurden Seiten mit speziellen Themen. Natürlich viele, die sich um Computer, Internet und Digitales drehten, aber auch schon die ersten Mode- und Food-Blogs. Letztere haben die Hochzeit des Bloggens genauso überlebt wie Blogs rund um den Fußball, und gerade von den Food-Blogger:innen kann man sagen, dass sie die ersten Influencer waren.
Die rechtskonservative Szene bediente sich Blogs zur Verbreitung ihrer Meinung, auch Linksradikale bloggten. Die klassischen Printmedien fühlten sich bedroht und wehrten sich mit Polemik. Legendär die Beschimpfung der Blogs als „Klowände des Internets“ durch den Werber Jean-Remy von Matt im Jahr 2006. Wer sich durch Artikel eines Blogs angepinkelt fühlte, hetzte seine Anwälte auf den:die Autor:in. So ging es mir nachdem ich 2006 über den fernsehauffällig gewordenen Joachim Steinhöfel herzog, der gleich Klage einreichte und dabei auf die Methoden eines Richters namens Buske setzte – was mich an die 10.000 Euro kostete.
Die unbeschwerten Tage von Klein-Bloggersdorf waren vorbei, auch weil nun die Abmahnanwälte systematisch nach Copyright-Verletzungen fahndeten und die Gemeinde mit ihren Forderungen überzogen. Außerdem waren nun auch Facebook, Twitter und Instagram am Start, die es technisch unbedarften Menschen erlaubten, auch ohne Blog-Maschine ihr Tun und ihre Meinungen auf die Welt loszulassen.
Spätestens mit dem Tod von Majo Heinze im Herbst 2010 war die Party vorbei. Die Hartnäckigen machten irgendwie weiter, und einer hat sich seit dem Start seines Blogs überhaupt um keinen Trend geschert: Felix von Leitner mit Fefes Blog, das immer noch so puristisch aussieht wie beim Start im Jahr 2005 und in dem Fefe immer noch unverblümt äußert, was er von allen möglichen Dingen hält.
Ein wichtiger Faktor, der zum Ende des reinen Blogger-Glücks führte, war die Verwandlung der Plattform WordPress.com in ein Content-Management-System (CMS) um 2010 herum, die viele Blogger dazu verführte, aus ihren niedlichen, kleinen Weblogs so richtige Online-Zeitungen, -Zeitschriften und -Magazine zu machen. Dies dokumentiert dadurch, das die Deutsche Nationalbibliothek solche Seiten Internetpublikationen nennt und seit 2013 sogar ISSN verteil wie an richtige Printmedien.
Der „Klowand“-Leak ist sogar immer noch online :)
http://www.jensscholz.com/2006/01/jean-remy-von-matt-ist-beleidigt.htm
Danke für den Link, Jens!
Antville existiert noch und hat mittlerweile twoday. net und blogger.de übernommen.
Eine Maschine reicht heute aus, um alle 3 zu hosten…
Ah, sehr interessant. Danke für den Hinweis!
Hey,
aus Langeweile – die Tage bringen ja kaum Neues ;-) – habe ich in meinen Bloggererinnerungen gekramt.
Was macht eigentlich z. B. der Schockwellenreiter?
Ich suche nach seiner Seite und stoße so auf diese kleine Geschichte von Bloggersdorf.
Ich erinnere mich, dass der Schockwellenreiter damals über die junge Firma „twoday.net“ informierte, bei der ich dann prompt mein „opablog“ anmeldete. Das war im Dezember 2005. https://opablog.twoday.net/20051218/
Daher mein Name „kranich05“.
Aktiv bis heute, jetzt bei wordpress: https://opablog.net/
Ich bin kein Nerd, bin „naiver PC-Nutzer“.
Aber meine „Klowand“ ist mir doch lieb und immer noch lebendig.
Grüße an die alten internet – nicht persönlich Bekannten