Die schöne Ada Lovelace...

Lovelace-Day 2020: Ada, die Computerprophetin … aber nicht „der erste Programmierer“

Seit 2009 ist der zweite Dienstag im Oktober offizieller Ada-Lovelace-Tag. Gefeiert haben wir Digisaurier diese geniale Frau schon mehrfach. Es ist an der Zeit, einmal mit der Legende aufzuräumen, Ada sei die erste Programmierin der Weltgeschichte. Dass sie es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht war, tut ihrem Verdienst für die Computergeschichte keinen Abbruch. Denn sie hat im Zuge der Mitarbeit an Charles Babbages Analytical Machine mal eben die bis heute geltenden Grundlagen formuliert.

Der große Charles Babbage (public domain)
Der große Charles Babbage (public domain)
Der glänzende Wissenschaftsjournalist Javier Yanes hat in einem Artikel einmal zusammengefasst, wie die Legende entstanden ist, Ada habe das erste Computerprogramm geschrieben. Die Sache ist so kompliziert wie die Analytical Machine, die erst Jahre nach ihrem Tod und dem des Bastlers Charles Babbage zumindest ansatzweise gebaut wurde. Babbage, der natürlich viel mehr Philosoph, Mathematiker und Ökonom war als Hardwarefrickler, war schon in jungen Jahren fasziniert von den mechanischen Jaquardwebstühlen, die sein Landsmann Edwin Cartwright 1785 erfunden hatte. Mit dem konnten ohne manuellen Eingriff komplizierte Muster beim Weben von Stoffen erzeugt werden – gesteuert durch Lochkarten.

Entwurf von Babbages Differenzmaschine (public domain)
Entwurf von Babbages Differenzmaschine (public domain)
Erst recht, als die ersten, industriell einsetzbaren Webstühle mit Dampfmaschinenantrieb die englische Textilbranche revolutionierten. Die Idee war, per Lochkarte zu steuern, wann die Fäden einer bestimmten Farbe als sogenannte „Ketten“ in das Trägergewebe geschossen wurden. Tatsächlich wurde das Prinzip der Lochkarte, das bis weit in die Achtzigerjahre die Computerei bestimmte, im Zusammenhang mit dem Jaquardwebstuhl erfunden. Babbage verstand sofort, dass mit einer Lochkarte An-Aus-Zustände in einer zeitlichen Reihenfolge gespeichert werden können und dass sich so Zahlenwerte binär abbilden lassen. Das brachte ihn auf den Einfall, eine mechanische Rechenmaschine zu bauen, die Difference Engine.

Zuvor war er kommerziell einigermaßen erfolgreich mit der (manuellen) Berechnungen von Sterbetabellen, die bereits damals zur wichtigen Grundlage für die Berechnung von Prämien von Lebensversicherungen wurden. Als renommierter Wissenschaftler gelang es ihm sogar, den britischen Staat zu überreden, die Entwicklung finanziell zu fördern. Die Arbeit an der Version 0 der Rechenmaschine von 1920 bis 1822 brachte nicht nur die Computerei in Gang, sondern führte zu zahlreichen Innovationen auf dem Gebiet der Feinmechanik, denn hochpräzise mussten die Zahnräder und anderen Elemente der Maschine gefertigt sein.

Tilda Swinton als Ada Lovelace im Spielfilm "Conceiving Ada" (Screenshot)
Tilda Swinton als Ada Lovelace im Spielfilm „Conceiving Ada“ (Screenshot)
Da war Augusta Ada Byron, das einzige legitime Kind des Dichterfürsten der Romantik, Lord Byron, gerade einmal sieben Jahre alt. Ohne Vater – der zügellose Freigeist, den man nur als „Lord Byron“ kennt – hatte sich davongemacht, und die Mutter erzog die kleine, meist kränkelnde Ada mit einiger Strenge. Da diese strenge Mutter aber sehr an den Wissenschaften und besonders an der Mathematik interessiert war, ließ sie der Tochter durch Hauslehrer eine fundierte Ausbildung zukommen. Noch als Teenager begann Ada eigene mathematische Forschungen und lernte so die große englische Mathematikerin Mary Somerville kennen, die wiederum mit Babbage befreundet war. Der hielt einen regelmäßigen Salon ab, in dem führende Köpfe der Zeit in London sich zum Austausch trafen.

1832, Ada war gerade siebzehn, nahm sie durch Vermittlung von Mary Somerville zum ersten Mal Teil und war sofort von der Differenzmaschine, mehr aber noch von Babbages Ausführungen zu seiner Analytical Machine fasziniert. Denn der hatte verstanden, dass sich mit einer mechanischen, mit Lochkarten befeuerten Maschine nicht nur einfache Berechnungen durchführen, sondern auch hochkomplexe mathematische Probleme lösen ließen. Während ihres informellen Studiums bei Augustus De Morgan korrespondierte sie regelmäßig mit Babbage und wurde 1841 seine Mitarbeiterin. Da war sie schon sieben Jahre mit Baron King, der später zum Earl of Lovelace erhoben wurde, verheiratet und hatte drei Kinder geboren. Ihre gesellschaftliche Rolle als Gattin eines Lords und ihr Leben als Mutter ließen ihr für die wissenschaftliche Arbeit kaum Zeit – worüber sie sich in Briefen an Somerville und Babbage beklagte. Immerhin war der Lord selbst wissenschaftlich interessiert und ließ ihr so viel Freiraum wie möglich.

Nachbau der Analytical Engine (Foto: David Exton via computerhistory.org)
Nachbau der Analytical Engine (Foto: David Exton via computerhistory.org)
Ihre große Stunde schlug 1842. Babbage hatte auf einem internationalen Kongress in Turin das Konzept der analytischen Maschine präsentiert, das auf enormes Interesse in der Fachwelt traf. Sein Vortrag erschien – aufgezeichnet in französischer Sprache von einem Kongressteilnehmer – bei einem Schweizer Verlag. Er aber wollte den Text gleichzeitig in englischer Sprache publizieren und bat Ada um Unterstützung bei der Übersetzung. Da sie selbst das Französische nicht beherrschte und die eigentliche Übersetzung einem Dienstleister überlassen musste, galt ihr Hauptaugenmerk dem wissenschaftlichen Lektorat der Arbeit. Babbage regte außerdem an, sie möge die Publikation mit ihren eigenen Anmerkungen, die sie ihm mündlich mitgeteilt hatte, ergänzen. Am Ende nahmen ihre legendären „Notes“ zwei Drittel des Textes ein. Gedacht waren sie eigentlich als eine Art Bedienungsanleitung für die Maschine.

Tatsächlich aber legte Ada in den „Notes“ ihre grundlegenden Vorstellungen von dem dar, was wir heute als Basis für das Funktionieren von Computern, das Programmieren und die Nutzung von Rechnern begreifen. Die vielleicht wichtigste These: Ada Lovelace erkannte – inspiriert durch die Beschäftigung mit dem Jaquardwebstuhl -, dass man mit einer analytischen Maschine eben nicht nur mathematische Probleme lösen konnte, sondern durch symbolische Operationen praktisch die Beziehungen zwischen Dingen, also die Welt, dargestellt werden können, dass sich beliebige Fragestellungen so formulieren lassen, dass ein „Rechner“ sie beantworten kann. Ob sie von den Entwicklungen des gleichaltrigen George Boole und seinem sogenannten „logischen Kalkül“, aus dem die Boole’sche Algebra entstand, gekannt hat, ist ungewiss. Tatsächlich entwarf sie in ihrem Text bereits ganz ähnliche Vorstellungen von Und-Oder-Verknüpfungen. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Hard- und Software geht allein auf Ada Lovelace zurück.

Die Tabelle aus Adas Notes, die fälschlicherweise für ein Programm gehalten werden
Die Tabelle aus Adas Notes, die fälschlicherweise für ein Programm gehalten werden
Ihre vermutlich visionärste These ist als „Lady Lovelace’s Objection„, die als „Note G“ im Werk über die Analytical Engine erschien. Sie schrieb dort: „The Analytical Engine has no pretensions to originate anything. It can do whatever we know how to order it to perform.“ Kurz: Ein Computer kann nur tun, was wir Menschen ihm zu tun befehlen – er selbst kann nichts erschaffen. Nachdem man in den 1980er-Jahren ihr Werk wiederentdeckte, wurde klar, dass die gute Ada im Jahr 1842 so ziemlich alles vorweggenommen hatte, was die Erfinder der künstlichen Intelligenz für sich beanspruchen. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Lady Lovelace postulierte, was bis heute gilt – Computer sind keine „Elektronenhirne“ oder gar „Denkmaschinen“, sondern Maschinen, die auf menschliche Anweisung tun, was ihnen befohlen wird. Als Ada über die Kreise von Mathematikphilosophen hinaus noch völlig unbekannt war, setzte sich Alan Turing 1950 mit ihren Thesen auseinander … und widersprach heftig.

(C) Heinz Nixdorf MuseumsForum / Jan Braun
Der erste Programmierer war eine Frau: Ada Lovelace
Klären wir zum Schluss die Frage, ob Ada Lovelace geborene Byron nicht doch das allererste Computerprogramm geschrieben hat. Die Antwort lautet: Jein. Unbestritten ist, dass sie in den Notes den ersten allgemeingültigen Algorithmus als Ablauf von Rechenschritten beschrieben hat; und zwar ganz konkret in Form von Tabellen, mit denen Bernoulli-Zahlen durch die Analytical Engine berechnet werden sollten. Es handelt sich aber nicht um ein Computerprogramm im eigentlichen Sinn, sondern mehr um eine Beschreibung auf Meta-Ebene. Aus heutiger Sicht ist dieser allererste Computeralgorithmus aber um ein Vielfaches bedeutender als jeder jemals geschriebene Programmkode.

Augusta Ada Byron, Lady Lovelace, wurde nur knapp 37 Jahre alt und starb am 27. November 1852 an Krebs. Die legendären „Notes“ (hier der Originaltext) blieben ihre einzige Veröffentlichung.

Adas Leben erzählt in einer LEGO-Stein-Animation:

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