Facebook und sein Algorithmus

Mehr Verkehr auf der Website: Facebook down, Google up?

[Vorsicht, langer Text! Hier die Zusammenfassung: Facebook hat seinen Algorithmus geändert. FB-Seiten haben dadurch deutlich weniger Reichweite. Damit nimmt die Zahl der Besucher, die von FB zu einer Website kommen, drastisch ab. Davon profitiert Google. Kann sein, dass Facebook so für das Internet-Marketing an Bedeutung verliert.]
Von außen betrachtet erscheint das, was Internet-Marketeers treiben wie eine Raketenwissenschaft. Schließlich geht es darum, hochkomplexe Algorithmen zu durchschauen und, ja, auszutricksen. Ziel der Übung ist es in aller Regel, möglichst viele User möglichst oft und möglichst lange auf die eigenen Angebote im Web und in den sozialen Medien zu locken. Schließlich kann man User am besten zu Kunden machen, wenn man sie oft und intensiv beeinflussen kann. Nun haben auch weniger Interessierte schon vom geheimnisumwitterten Google-Algorithmus gehört und der sogenannten Suchmaschinenoptimierung.

Der große SEO-Mythos

Die heißt auf Englisch „Search Engine Optimization“, was als SEO abgekürzt etwas für so wichtig erklärt wird wie Antiviren-Software. Hunderte mehr oder weniger seriöse Firmen verdienen ihre Brötchen mit SEO. Sie versichern ihren Kunden, die Algorithmen der Suchmaschinen so gut zu kennen, dass sie durch gezielte Maßnahmen dafür sorgen können, dass die Webseiten ihrer Mandanten in den Suchergebnissen weiter oben erscheinen. Nebenbei: Wenn von Suchmaschinen die Rede ist, dann ist bei den SEO-Fuzzis meistens nur Google gemeint.

Was den Google-Algorithmus beeinflusst
Was den Google-Algorithmus beeinflusst
Die Idee hinter diesem ganzen Zirkus ist die, dass Otto Normalkonsument, der gerade irgendwas kaufen will, nach dem gewünschten Produkt googlet – sagen wir, es geht um die Anschaffung eines Nasenhaarschneiders. Er tippt dieses Wort ein, und Google wirft die Kurzbeschreibungen und Adressen von Websites aus, auf denen man Nasenhaarschneider käuflich erwerben kann. Und natürlich auch die Seiten mit den Vergleichstests von Nasenhaarschneider sowie die ganzen Online-Händler, die so etwas Ähnliches anbieten (z.B. Ohrenhaarschneider…). Nun weiß man schon seit Langem, dass der Otto sich bestenfalls um die Einträge auf der ersten Seite der Suchergebnisse kümmert; ja, oft nicht einmal das: dann belässt er es bei den ersten drei Ergebnissen. Es liegt auf der Hand, dass der Nasenhaarschneideranbieter, dessen Website unter den ersten dreien auftaucht, deutlich mehr Geräte verkaufen wird als seine Mitbewerber.

Es geht um die Anzeigenumsätze

Nun kann der Anbieter natürlich bei Google Anzeigen schalten. Die erscheinen dann über den Suchergebnissen bzw. zu Beginn der Ergebnisliste mit dem Hinweis, dass es sich um Anzeigen handelt. Der gewiefte Otto aber sagt sich: Mmmh, das ist ja bloß Reklame, ich will lieber die authentische Info … und ignoriert die Anzeige. Weil das so ist, verdienen sich SEO-Dienstleister eine goldene Nase, und Google entgeht Umsatz mit Werbung. So ist in den vergangenen zwölf Jahren ein Hase-Igel-Rennen zwischen Google und den SEOlern entstanden. Google als Hase verändert seinen Algorithmus, der die Rangfolge der Suchergebnisse steuert, und die Suchmaschinenoptimierer finden nach mehr oder weniger kurzer Zeit heraus, wie man den Algorithmus austricksen kann.

Bei Facebook liegt die Sache anders. Genauso wenig wie bei Google ist es natürlich NICHT die Mission der Zuckerberg’schen Plattform, die Menschen glücklich zu machen, sondern Geld zu verdienen, viel Geld, immer mehr Geld. Genau wie Google aber verdient der liebe Mark die Kohle mit Reklame. Im Prinzip sollen Hersteller, Dienstleister und Anbieter dafür bezahlen, dass die sozialen Wesen auf Facebook von ihnen erfahren. Nun gibt es ja schon seit Längerem die Einrichtung der Facebook-Seite. Die war ursprünglich für Promis als Treffpunkt ihrer Anhänger gedacht und hieß daher „Fan Page“. Aber nur ein paar Monate nach der Einführung der Fan-Seite hatten Dutzende Marken und Unternehmen solche Seiten eingerichtet, um so Communities auf Facebook zu erzeugen und zu betreuen. Die Idee der zugehörigen Internet-Marketeers: Wozu Zuckerberg mit Kohle für Anzeigen zu füttern, wenn die Leute doch kostenlos auf unsere Fan-Pages kommen?

Rückgang der FB-Reichweite konkret
Rückgang der FB-Reichweite konkret
Wir reden ja gern von der Aufmerksamkeitsökonomie und meinen damit, dass die Sichtbarkeit einer Marke, eines Unternehmens oder einer Person plus der Interaktion mit den zugehörigen Fans bares Geld wert ist. Wie man aber möglichst viele Leute auf die eigene Facebook-Seite bekommt, ist weniger kompliziert als die berüchtigte SEO: Man muss den Menschen etwas bieten. Ganz ähnlich wie bei den klassischen Massenmedien kann man „Leser“ und „Zuschauer“ durch Inhalte anlocken – grob unterteilt ziehen Beiträge mit großem Unterhaltungs- oder Nutzwert die User an. Und alles, bei dem sie etwas umsonst oder billiger kriegen können. Über die Jahre haben die Internet-Marketeers erkannt, dass Content King ist und diese Erkenntnis zunehmend umgesetzt. Wer aber eine Facebook-Seite mit vielen Fans bzw. Abonnenten hat, die zudem eine interaktive Community bilden, der muss kein Geld für popelige FB-Anzeigen auszugeben.

Facebook filtert, was du siehst

Entscheidend im Hinblick auf die Aufmerksamkeit ist, das, was ein Facebook-User in seiner Timeline sieht. Um das beeinflussen zu können, hat Facebook schon vor fast zehn Jahren damit aufgehört, dem Anwender einfach alle Beiträge aller seiner Freunde und die neusten Postings aller von ihm geliketen Seiten ungefiltert in diese Timeline zu schieben – der Facebook-Algorithmus wählt aus, was der User zu sehen kriegt. Jedenfalls dann, wenn man als bewusster Facebookler nicht auf „Neuste Meldungen“ umgestellt hat – aber da ist wieder ein anderes Thema.

Jedenfalls hat Facebook Anfang 2018 heftig an seinem Algorithmus herumgeschraubt mit dem Ziel, dass der User weniger Postings von Marken-, Unternehmens- und Medienseiten in seiner Timeline serviert bekommt. Reden wir nicht über die krude, beinahe realsatirische Begründung, man wolle so Content von Freunden und Familienmitgliedern bevorzugt ausliefern, sondern davon, wie sich das Ganze ausgewirkt hat. Die wesentliche Maßnahme im neuen Algorithmus, die den Content potenzieller Anzeigenkunden wegfiltern soll: Es wird nicht mehr die auf einer Seite verbrachte Zeit als Qualitätsmerkmal gewertet, sondern das Maß an Interaktion (um es mal ganz verkürzt darzustellen). Im Klartext bedeutet dies, dass ein Like an einem Seiten-Posting nur noch wenig wert ist, ein Teilen oder gar ein Kommentar aber sehr viel.

Drastische Veränderungen bei der organischen Reichweite

In der Konsequenz hat das zu teilweise drastischem Rückgang bei der „organischen“ Reichweite (also der, für die man nichts an FB zahlt) geführt. Der Verfasser dieses Beitrags betreut mehr als ein Dutzend Websites samt der zugehörigen Facebook-Seiten und kann diese Aussagen aus eigener, täglicher Anschauung nur bestätigen. Leider hat es vor allem Seiten mit weniger Abonnenten getroffen und leider ganz besonders die Facebook-Seiten gemeinnütziger Organisationen – letzteres möglicherweise, weil die ja eh nicht als Anzeigenkunden in Frage kommen.

So sieht die Referrer-Verteilung einer WP-Seite heute aus
So sieht die Referrer-Verteilung einer WP-Seite heute aus
Wenn nun aber das Ziel der Bespielung einer Facebook-Seite ist, mehr Menschen auf die Website des Unternehmens bzw. der Organisation zu locken, sind die Auswirkungen dramatisch. Im Falle einer kulturellen Organisation haben sich die Gewichte bei den Referrern (also dem Ausgangspunkt von Besuchern) komplett verschoben. Kamen vor der Änderung des FB-Algorithmus‘ ungefähr die Hälfte (oder auch mehr) Besucher von Facebook auf die Website, während die andere Hälfte über Google kam, schickt heute die Suchmaschine mindestens zehnmal so viele Menschen rüber wie Facebook. Bei der genannten Kulturorganisation sind es konkret bei täglich rund 4.000 Aufrufen der mit WordPress betriebenen Site über 1.500 Google- und nur noch um die 80 Facebook-Referrer.

Und das bedeutet ebenfalls konkret, dass man als Betreiber überlegen muss, ob man den aktuellen Aufwand für Menge und Qualität von Content auf der Facebook-Seite überhaupt noch investieren will oder mehr Anstrengung in SEO-gerechten Content auf der Website legt. Insgesamt können die Veränderungen am FB-Algorithmus weitreichend Folgen haben und zu einem deutlichen Rückgang der Bedeutung von Facebook führen.

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