Das iPhone 1 - Killer aller PDAs

Rückblick auf die Zehnerjahre: Die erste volldigitale Dekade

Zum Weihnachtessen 2007 erschien ein Gast mit einem brandneuen Gerät, das er uns stolz vorführte. Es handelte sich um eines der ersten Apple iPhones. Um ehrlich zu sein: Ich war nur mäßig begeistert, und auch andere Anwesende fragten, wozu das Ding gut sein sollte. Ja, argumentierte der stolze Besitzer, mit diesem Handy könne man überall ins Internet gehen. Was die Frage aufwarf, wer denn das wollen sollte. Der Mann mit dem iPhone aber war sich sicher, bald würden viele Leute unterwegs surfen wollen. Tja, und ziemlich genau zum Beginn der Zehnerjahre schaffte ich das erste Android-Smartphone an – ohne natürlich zu ahnen, dass auch für mich damit die erste volldigitale Dekade begonnen hatte.

Faktor 1: iPhone & Co.

Tatsächlich war die Ankunft von iPhone & Co. einer der wichtigsten Faktoren für das mobile Zeitalter, denn das Smartphone befreite das Internet vom Schreibtisch. Vorher hieß es: Ich muss mal ins Web, was bedeutete, den Laptop anzuschalten, die Verbindung herzustellen und den Browser zu starten. Jetzt war das Ding in der Tasche eben always on. Das änderte die Nutzung des Internets fundamental und schuf den Boden für Tausende neuer Geschäftsmodelle.

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Mit dem Smartphone begann auch die Karriere der Handykamera, die der analogen Fotografie den Garaus machte und letztlich auch einem ganzen Marktsektor der digitalen Kameras das Leben erschwerte. Natürlich gab es schon vorher Menschen, die wo sie gingen und standen Fotos und Videos mit dem Handy schossen. Aber eher selten verirrten sich die Erzeugnisse ins Netz, und erst mit der allgegenwärtigen Kamera im Smartphone machte das Videoportal YouTube so richtig Karriere.

Faktor 2: Soziale Netzwerke

Medienoptimisten sahen ab etwa 2010 ein neues Zeitalter aufkommen, in dem die Menschen ohne den Umweg über die traditionellen Publikationsmaschinen von Presse, Funk und Fernsehen ihre selbst erzeugten Bilder und Töne frei verteilen würden, und sich die ganze Medienwelt dadurch demokratisieren würde. Zumal sich zu den bewährten Diskussionsforen die ersten sozialen Netzwerke gesellten, die den digitalen Austausch zwischen „Freunden“ überall auf dem Globus ermöglichten. Von Fakenews, Shitstorms, orchestrierten Hasskampagnen und Foto- und Videofälschungen war da noch nicht die Rede.

Und so sieht Facebook in der Windows-App aus...
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Tatsächlich digitalisierte sich die zwischenmenschliche Kommunikation von diesem Punkt aus radikal und umfassend. Im Zusammenspiel mit den immer besser werdenden Kameras übernahmen Bild und Bewegtbild die Weltherrschaft. Wer gehofft hatte, so entstünde ein unzensierter Nachrichtenapparat, sah sich bald getäuscht – Fun stand im Mittelpunkt. Und natürlich die Selbstinszenierung, die von Beginn an Funktionsprinzip von Plattformen wie Instagram war.

Faktor 3: Apps & Cloud-Computing

Die Erfindung der App war ein weiterer Meilenstein in der anschwellenden Digitalisierung der Lebenswirklichkeit. Denn mit den kleinen Programmen für die Smartphones wurden aus den Handys mobile Computer, mit denen nicht mehr nur Informationen ins Device geholt werden, sondern auch alle möglichen Aufgaben, die zuvor nur mit dem stationären PC lösbar waren, erledigt werden konnten. Ab etwa 2012 gingen die Verkaufszahlen für Desktop-PCs rasant in den Keller, und mit dem Apple iPad von 2010 verzichteten immer mehr Konsumenten auf einen „richtigen“ Computer.

So einfach wird eine Familien-Cloud eingerichtet
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Vor allem, das was als „E-Commerce“ in der Dotcom-Blase zehn Jahre zuvor kurz für Furore sorgte, profitierte vom mobilen Zugriff auf das Netz – allen voran das Versandhaus Amazon. Denn nun konnte Otto Normalverbraucher mit dem Smartphone in der Hand auf der Parkbank sitzend alles bestellen, was er immer schon haben wollte. Und weil Amazon sich nicht aufs Verkaufen von Zeug beschränkte, sondern sich an die technologische Spitze der Volldigitalisierung setzte, entstand eine weltbeherrschende Plattform für den Online-Handel, für das Videostreaming und auch das Cloud-Computing.

Dieses revolutionäre Modell der Datenspeicherung und -verteilung änderte alles. Jeder konnte nun nicht nur seine Texte, Bilder, Videos und sonstigen Dokumente in der Wolke ablegen, sondern sie mit jedem web-fähigen Device von überall her abrufen. Neben Amazon war es der Suchdienst Google, der die schier unendlichen Möglichkeiten dieses Prinzips verstand und von Anfang an für sich und seine Anwender nutzte. Und warum das alles? Weil Google – ebenfalls früher als viele andere Internetunternehmen – verstanden hat, dass das profitabelste Geschäftsmodell der volldigitalen Dekade der Verkauf von Werbung ist.

Faktor 4: Mehr Kapazität, mehr Bandbreite

So begann die Globalherrschaft der Plattformen, die ohne Ende Geld scheffelten und immer noch scheffeln und die Vorteile des grenzenlosen Internets dazu nutzen, möglichst nirgendwo auch nur ein paar Cent Steuern zu bezahlen. Und weil Google, Facebook und Amazon in ihren jeweiligen Marktsegmenten beinahe Monopolisten sind, konnten sie Milliarden Konsumenten innerhalb der vergangenen zehn Jahre von sich und ihren Services abhängig machen.

Mysteriöses Ambiente in einem modernen Rechenzentrum
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Das alles konnte aber nur durch eine Ausweitung von Rechen- und Speicherkapazitäten sowie Bandbreite funktionieren. Schätzungen besagen, dass zum Ende der Zehnerjahre das gut vierhundertfache Datenvolumen im Internet um den Erdball wabert, betrieben von Hunderttausenden stromfressender Rechenzentren – von denen die überwiegende Mehrzahl den genannten Plattformbetreiber gehört oder von ihnen kontrolliert wird.

Faktor 5: Das Internet der Dinge & die KI

Was haben wir gelacht, als ungefähr 2004 die ersten Prototypen von Kühlschränken mit Internetanschluss gezeigt wurden. Ja, was denn, sollen wir jetzt auch noch per Kühlkiste surfen? Dabei steckte schon hinter den ersten unbeholfenen Versuchen eine epochale Idee, nämlich die, Dinge (= Geräte, Maschinen etc.) miteinander übers Netz kommunizieren zu lassen. Vorstufe dafür waren a) das Erwachsenwerden von Wlan- und Bluetooth-Standards und b) das Verständnis von den Möglichkeiten der IP-Adresse. Wenn man, so das Prinzip, jedem Ding, das irgendwie mit dem Internet verbunden werden kann, eine eindeutige IP-Adresse zuordnet, dann kann jedes dieser Dinger über diese Adresse angesteuert werden.

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Was sich zunächst einfach nach ultimativer Fernsteuerung per Netz anhört, ist zu einem der wichtigsten Treiber der Digitalisierung geworden – und zwar die der Industrie und Wirtschaft, die nun automatisierte Prozesse bis zum letzten Schalter an der hinterletzten Maschine definieren und realisieren können. So können sämtliche Bestandteile von Produktions- und Lieferketten über IP-Netze gesteuert und damit rationalisiert und beschleunigt werden – das gilt für ALLE Branchen von der Landwirtschaft über die Autoherstellung bis zur Alten- und Krankenpflege. Wobei gleichzeitig immer weniger Eingriffe durch Menschen nötig werden, weil schlaue Algorithmen nach den Prinzipien der Künstlichen Intelligenz selbstständig Entscheidungen treffen und so die Prozesse beherrschen können.

Und weiter…

Beim Schreiben ist mir sukzessive klargeworden, WIE revolutionär das abgelaufene Jahrzehnt wirklich war, wie viele Science-Fiction-Ideen zwischen 2010 und 2019 Wirklichkeit geworden sind und wie sehr sich das alles auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, auf ihr individuelles und soziales Verhalten ausgewirkt hat. Und wenn ich darüber nachdenke, finde ich nur eine Dekade in den letzten gut 200 Jahren, die ähnlich viele und tiefe Umwälzungen mit sich gebracht hat: die Fünfzigerjahre des 19. Jahrhunderts. In diesem Jahrzehnt entstanden die ersten Eisenbahnnetze, fast alle Verfahren der Schwerindustrie wurden in real existierenden Fabriken umgesetzt, und auf den Feldern Medizin und Chemie wurden Erfindungen gemacht, die bis heute nachwirken. Könnte also gut sein, dass die Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts einst als Kernepoche der digitalen Revolution in die Geschichte eingehen, also so wie die Zeit von 1850 bis 1860 heute als erste Hochphase der industriellen Revolution gilt.

Da fragt sich natürlich, wie die Digitalisierung in den gerade begonnen Zwanzigerjahren vorangehen wird. Aber, das ist ein anderes Thema, das ich gern in der kommenden Woche unter der Überschrift „Vorschau auf die Zwanzigerjahre“ behandeln möchte. Stay tuned…

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