Der gute, alte Textomat

Software-Saurier – Folge 1: Textverarbeitung aus der Steinzeit

Wenn wir Digisaurier uns darüber unterhalten, was uns seinerzeit zu den kleinen Computern hingezogen hat, dann sind die Antworten durchaus unterschiedlich. Ich selbst komme von der Speicherschreibmaschine mit Korrekturfunktion. Kennt ihr noch? So etwas wie die Triumph-Adler Gabriele 8008? Christian hat sich auch schon als jemand geoutet, den der unbändige Wunsch Zeitung zu machen auf den Computer gebracht hat. Und, ja, wer so drauf war, der hat mit der Schreibmaschine Textfahnen getippt, in Spalten auf Layoutbögen geklebt und mit Letraset-Überschriften versehen. Übrigens: Die zweite große Fraktion der ganzen frühen Adopters der neuen Technologie anfangs der Achtzigerjahre kam vom Arkadenspiel, die dritte Gruppe waren die Soft- und Hardwarefreaks, die mit dem Computer eigentlich nichts machen wollten. Weil ich so wild aufs Zeitungsmachen und Geschichtenschreiben war, fiel mir ein im Jahr 1981 ein rororo-Taschenbuch in die Hände, in dem sich ein amerikanischer Autor ganz praktisch über Textverarbeitung ausließ. Er nannte die Prinzipien und beschrieb dann die verschiedenen Varianten von der umgebauten Telexmaschine über die bereits erwähnte Speicherschreibmaschine bis zu den Computern jener Zeit und den zugehörigen Textprogrammen. Ich war fasziniert, und um ganz ehrlich zu sein: Außer so richtig ernsthafter Bürosoftware hat mich der ganze Computerkram nie wirklich interessiert.

WordStar - die erste richtige Textverarbeitung
WordStar, das Ding mit dem Hilfefenster – was für Weicheier, denn Cracks kannten die Befehle alle auswendig!
Der Verfasser des besagten Büchleins schwor total auf seinen CP/M-Rechner von Kaypro und das Textverarbeitungsprogramm WordStar. Das wollte ich auch. Weil mich die Sache, Nadeldrucker inklusive, aber irgendwas bei 15.000 Deutschmark gekostet hätte, nahm ich Abstand, nutzte privat weiter meine Gabriele und machte mich bei meinen Jobs als Bürokraft mit den verschiedenen Schreibautomaten vertraut. Dann stellte ein Vertreter einen Apple Lisa zum Testen in die Agentur, in der ich meine Brötchen verdiente, und ich war fasziniert. Die Kiste wurde dann noch nicht angeschafft, weil außer mir niemand damit zurechtkam. Ich begann durch die Stadt zu schleichen, um endlich DEN Computer mit DEM Textprogramm für mich zu finden. Beim VC20 brach ich in höhnisches Gelächter aus, und einen Apple II konnte ich mir nicht leisten. CP/M-Rechner gab es nur auf Rezept oder im Duty-Free-Shop am Brüsseler Flughafen. Es war zum Haareraufen.

Das kurze Textomat-Zeitalter
Bis mich dann ein gütiges Schicksal in die Arme des Hauses Data Becker trieb, wo ich als erstes mit einem Projekt namens „Das Ideenbuch zum C64“ betraut wurde. Und weil ich selbst außer einem ZX81 keinen Computer besaß, überließ man mir eine komplette 64er-Ausstattung mit allem Zipp und Zapp leihweise. Teil des Pakets war der frischgebackene Textomat, eine minimalistische Textverarbeitung, die von einer halben Handvoll Youngster aus dem Data-Becker-Stall in wenigen Wochen in Maschinensprache geschrieben wurde. Beim ersten Ausprobieren war ich weniger fasziniert. Denn der Textomat entpuppte sich als eine Art Scheibmaschinensimulation und konnte kein bisschen mehr als die Gabriele 8008. Stimmt nicht: Texte konnten für die Ewigkeit gespeichert werden, zum Beispiel auf einer Floppy Disk. Und wenn man einen Text, im konkreten Fall ein Buchmanuskript, auf einer Floppy gespeichert hatte, konnte man die ins Lektorat tragen, wo die fleißigen Helfer auf einem anderen C64 dieses Manuskript öffnen und weiterverarbeiten konnten. Das faszinierte nicht nur mich.

WordPerfect, der Textgigant
WordPerfect musste man mögen, aber wenn man es tat, dann konnte man WordStar rechts überholen…
Weil aber das Bessere des Guten Feind ist und ich sehr rasch auf den MS-DOS-PC kam, fiel mir WordStar zu. Plötzlich bekam ich eine Ahnung davon, was mit einer modernen Textverarbeitung alles möglich war – gerade im Hinblick auf das Layout von Text. Da öffneten sich Galaxien jenseits von fett und kursiv, da ging echter Blocksatz! Ja, man konnte die Seiten automatisch nummerieren lassen und Fußnoten anlegen. Nach meinem ersten WordStar-Wochenende war ich zutiefst fasziniert.

Von WordStar über WordPerfect zu Word
Auch wenn es dann noch Monate dauerte, bis ich mir zumindest die wichtigsten Befehl draufgeschafft hatte. Denn ständig das Hilfefenster geöffnet zu halten, um nachzuschauen, mit welcher Strg-Kombi ein bedingter Seitenwechsel einzufügen war, ging dann doch auf den Nerv. Immerhin schrieb ich die Manuskripte für drei Bücher auf einem Commodore PC mit WordStar 4.0. Um anschließend zu WordPerfect zu wechseln, mit dem ich aber nie so richtig warm wurde. Im Grunde konnte dieses WordPerfect schon in seinen frühen Versionen fast alles. Zumal sich die Entwickler sehr genau angeschaut hatten, was an WordStar umständlich und unpopulär war. Auch diesen Text-Saurier konnte man mit Tastenkombinationen steuern, leider waren es andere als die von WordStar her bekannten. Trotzdem kam dieses Programm bei mir in der Vor-Windows-Ära auch einmal bei einem Buchmanuskript zum Einsatz.

MS Word 6 - der Gigant der Textverarbeitung jener Jahre
MS Word 6 war der Gigant der Textverarbeitung jener Jahre mit seiner Funktionsfülle und der grafischen Darstellung von Formatierungen
Im Verlag sprachen wir viel über Textverarbeitung und diskutierten die Pros und Contras. Auch weil eine Vereinheitlichung der Textverarbeiterei bei der Buchproduktion nicht mehr zu vermeiden war. Das System der Wahl sollte mächtig sein und zukunftssicher, also schon in Richtung dessen gehen, was später Desktop Publishing, kurz: DTP, hieß. Dass dann so um 1986 herum Microsoft Word wurde, wundert nicht weiter, denn dies war zu jener Zeit die einzige Textverarbeitung für MS-DOS, die Formatierungen auf dem Bildschirm anzeigen konnte. Ja, tatsächlich konnte man fett und kursiv von normal unterscheiden – vorausgesetzt, die richtige Grafikkarte steckte im PC. Bei WordStar und WordPerfect wurden derlei Auszeichnungen durch Steuercodes oder bestenfalls durch andersfarbige Darstellung (natürlich nur bei angeschlossenem Farbmonitor!) symbolisiert.

Außerdem war MS Word für DOS ab Version 4 oder 5 die erste Textverarbeitung, die mit den ersten Laserdruckern von HP klarkam und – tä-tääää! – mit der Maus gesteuert werden konnte. Meine erste Word-Session mit Mausbedienung hat sich fest in mein Textergedächtnis eingegraben; es war toll, ich war mehr als fasziniert. Und vermutlich würde ich noch heute mit Word für DOS arbeiten, weil es genau die Menge an WYSIWYG brachte, die ich mir wünschte, wenn die Welt nicht von der Welle der GUIs überschwemmt worden wäre.

Text-Saurier ausgestorben
Das begann natürlich mit dem Apple Macintosh, der anfangs aber stark unter einem primitiven Textprogramm litt, ging mit dem Atari ST weiter (für den es eine Fülle mehr oder weniger schlechter Textprogramme gab), führte über den Amiga (Hat jemand Textverarbeitung an der Kiste betrieben?) und endete in der Ankunft von Windows 3.11, der ersten reifen Version des Fenstersystems aus dem Hause Microsoft. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Word für Windows (so sagte man damals, um es vom DOS-Word abzuheben) DIE Killerapplikation gewesen, die grafische Benutzeroberflächen ins Büro gebracht hat. Zumal schon die ersten WinWord-Versionen – dank der WYSIWYG-Expertise von Word für DOS – richtig alltagstauglich waren und die Schreibkräfte gerne auf dieses neue, bunte System umstiegen.

Natürlich gibt es Dutzende weiterer Text-Saurier aus den Jahren vor ca. 1990, überlebt haben davon nur wenige. Obwohl gerade Schriftsteller gern an dem System festgehalten haben, mit dem sie seinerzeit in die faszinierende Welt der Textverarbeitung eingetaucht sind. So schreibt dem Vernehmen nach der Fantasy-Großkünstler George R.R. Martin immer noch mit WordStar, allerdings in der unsäglichen Windows-Version.

4 Gedanken zu „Software-Saurier – Folge 1: Textverarbeitung aus der Steinzeit“

  1. Vielleicht kann ich dem einen oder anderen Mit-Veteranen einen Underdog ins Gedächtnis rufen, an dessen deutscher Lokalisierung, Druckervertreiberung und Dokumentation ich Mitte der 80er als techn. Leiter von North American Software beteiligt war: Euroscript, ein lokalisierter Ableger der US-Textverarbeitung XyWrite. Besondere Merkmale: KEIN Wysiwyg, reine ASCII-Texte mit Klartext-Steuerzeichen und mächtiger Makrosprache. Sogar die Druckertreiber waren ASCII-Text, quasi interpretierter Quellcode. Wurde vor allem von Autoren und Journalisten gerne eingesetzt. Das Ding war kompakt (Hauptprogramm auf einer Diskette), rasend schnell, konnte alles, was man sich wünschte (autom. Inhaltsverzeichnisse und Indizes, Fußnotenverwaltung, Serienbriefe, you name it) und schlappe 1400 Mark billig :)
    Als ich bei NAS anfing, kam ich von Word, das ich aber fast nur als Code-Editor verwendet hatte und war hin und weg. Es wurde, wie alle anderen auch, aber Anfang der 90er von Windows und Word endgültig überrollt. War nicht so schlimm für mich damals, NAS hatte was viel besseres inzwischen: askSam, eine Volltext-Datenbank, die ich fast als Ur-Uropa von OneNote, Evernote & Co. sehen würde.

    1. Doch, an Euroscript erinnere ich mich noch ganz gut – bin damit nie ganz warm geworden. In Sachen askSam regen sich bei mir allerdings gewisse allergische Reaktionen ;–)) Ich mochte das Ding überhaupt nicht … weiß allerdings nicht mehr, warum.

  2. Textverarbeitung…
    auf dem Apple ][ (mit 48 Kilobyte): „Apple Writer“
    auf dem Atari Mega ST 4: „Harlekin“ (eigentl. ein Editor)
    auf IBM PC: „Word für DOS“
    auf dem Mac: „Ragtime“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert