Als dieser Tage die Meldung reinschneite, Conrad Electronic würde fast alle seine Filialen schließen, war ich einigermaßen schockiert. Geht es diesem wahrhaft legendären Unternehmen etwa nicht gut? Es war ja schon vor ein paar Jahren eine traurige Tatsache, dass die Filiale hier an meinem Wohnort Düsseldorf geschlossen wurde, zu der ich über viele, viele Jahre regelmäßig pilgerte. Eigentlich immer, wenn ich irgendetwas brauchte, was auch nur annähernd mit Elektronik zu tun hatte – Stecker und Kabel, zum Beispiel. Ich war immer sehr froh, dass ich solchen Kram eben nicht beim Online-Händler mit dem A am Anfang bestellen musste, sondern ihn – drei Straßenbahnhaltestellen entfernt – in echt kaufen konnte. Natürlich nutzte und nutze ich seitdem auch den Versandservice von Conrad Electronic, aber mit fehlen die Gespräche mit den so unglaublich fach- und sachkundigen Verkäufer:innen im Laden.
Irgendwie gab es Conrad Electronic schon immer. Als ich dann einmal die Historie des Unternehmens nachschlug, war ich aber doch erstaunt, wie alt die Firma ist und welche herausragende Rolle sie bei allen Innovationen rund um Radio-, Fernseh-, Bastel- und eben auch Computerelektronik gespielt hat. Max Conrad gründete den Laden schon 1923 – er war begeisterter Rundfunkpioniere und dachte sich, irgendwer müsse den bastelfreudigen Menschen, die sich einen Detektorempfänger selbst bauen wollten, doch die nötigen Bauteile anbieten. Denn gebrauchsfertige Radios gab es noch nicht, und die ersten Geräte waren so dermaßen teuer, dass sie nur Luxusnutzern vorbehalten waren.
Schon aus dieser Zeit zwischen dem Ende des ersten Weltkriegs und der Machtübernahme der Nazis stammt der hervorragende Ruf, den Conrad Electronic bei Radiobastler und Amateurfunkern bis heute genießt. Mehr noch: Bereits 1937 bot das Unternehmen Bausätze für Fernseher an – eine ausführliche, bebilderte und fast narrensichere Anleitung inklusive. Der zweite Weltkrieg machte alles, was Max Conrad aufgebaut und was sein Sohn Werner übernommen hatte zunichte. Ursprünglich in Berlin beheimatet blieb von der Firma nur noch ein Rucksack voller Drehkondensatoren, mit dem sich Werner auf die Fluch gen Westen begibt, die im oberpfälzischen Hirschau endet.
Hier entsteht das neue Zentrum der Firma, die unter dem neuen Namen WERCO mit dem bekannten Konzept startet. In den Fünfzigern und Sechzigern, in denen die Zeitschrift „Hobby“ als monatlich erscheinende Bibel für alle begeisterten Modellbauer und Radiobastler regelmäßig Bauanleitungen bot, boomte auch Conrads Versandhandel mit einem außergewöhnlichen breiten Sortiment an elektrischen und elektronischen Bauteilen, Steckern, Kabeln, Lautsprechern, Ohrhörern, Gehäusen, Lötkolben und Messgeräten bis hin zum Oszilloskop. Pioniere der aufkommenden Hifi-Technik fanden in WERCO praktisch die einzige Quelle für das, was sie für den Bau von Stereoröhrenverstärkern brauchten.
1973 übernahm Klaus Conrad die Geschäftsführung von seinem Vater, baute den Versandhandel aus und eröffnete – zunächst nur in Bayern – sogenannte „Technische Kaufhäuser“, die seinerzeit eine wichtige Rolle als Radio- und Fernsehhändler spielten und so den vielen kleinen Läden der Branche erhebliche Probleme machten. Der Erfolg führte zu einem enormen Expansionskurs, in dessen Folge in der Spitze mehrere Dutzend „Technikkaufhäuser“ – inzwischen unter dem Namen „Conrad Electronic“ in allen Groß- und vielen kleinen Städten entstehen. Bereits 1997 wagt Klaus Conrad den Schritt ins World Wide Web als alternativem Kanal für den Versandhandel.
Wichtigstes Verkaufsinstrument (neben den Filialen) aber bleibt der legendäre Conrad-Katalog, zwischenzeitlich bis zu 400 Seiten stark. Vorbildlich an diesem Katalog: Die exakten, detaillierten Informationen zu allen angebotenen Artikeln, Fakten auf die man sich zu 100 Prozent verlassen konnte. Auch im Business-to-Business-Geschäft hat Conrad Electronic immer schon mitgemischt. Ab Beginn der 2000er-Jahre wird dies zu einer tragenden Säule des Unternehmens. So spielt Conrad Electronic schon seit rund 25 Jahren auch eine Rolle als Distributor von Elektronik jeder Art.
Das Wunderbare an diesem Unternehmen im Privatkundenbereich ist, dass man keines der vielen Felder je einfach aufgegeben hat, sondern für Hobbyisten immer eine wichtige Quelle geblieben ist. Das gilt für den Modellbau ebenso wie für den Amateurfunk und – auch viel länger als andere Firmen – den Bereich der elektronischen Haussteuerung, also dem, was inzwischen hochtrabend „Smarthome“ heißt. Wobei man nicht übersehen sollte, dass es einen fließenden Übergang von der Radiobastelei und dem Amateurfunk zum Homecomputerboom der frühen Achtzigerjahre gegeben hat.
Conrad Electronic war eine der ersten Versandhäuser und Warenhausketten, die Computerzubehör auf breiter Front zu vernünftigen Preisen anbot. Wer zum Beispiel eine Grafikkarte oder eine Festplatte nachrüsten wollte, konnte an Conrad nicht vorbeigehen. Ebenfalls als Pionier wirkte Conrad Electronic beim Thema „Internetradio“ und angrenzenden Gebieten; die ersten autonomen Empfänger, die man in einem Ladengeschäft anfassen und anhören konnte, gab es im Technikkaufhaus.
Es ist beruhigend und gut zu wissen, dass es dem Unternehmen Conrad Electronic immer noch gut geht, dass die Schließung der Filialen also kein Zeichen von Krise ist, sondern eine logische Konsequenz aus veränderten Markt- und Kaufbedingungen. Denn nächstes Jahr dürfte Conrad Electronic ja den hundertsten Geburtstag feiern. Und das freut uns Digisaurier. Meine persönliche Konsequenz aus der Recherche zu diesem Beitrag: Wenn ich mal wieder was brauche, was in den Conrad’schen Themenkreis fällt, werde ich zuerst auf www.conrad.de nachschauen – versprochen…