Der Selfiestick - mal ohne Selfie

Was zur Hölle… Sinn und Unsinn der Selfiesticks

Mal ehrlich: Haben wir nicht alle mindestens gegrinst beim Anblick der ersten Smartphone-Deppen mit Selfiestick? Es sieht ja eigentlich auch ziemlich bescheuert aus, wenn sich eine oder mehrere Personen dicht aneinander kuscheln, während aus ihrer Mitte eine Stange wächst an deren oberen Ende ein Handy klemmt. Und was haben wir uns alle auch ein bisschen über diesen Selfie-Trend gewundert, der so ab 2012 über den Erdball schwappte. Dabei stehen die ganzen Selfies in einer langen, langen Tradition des Fotografierens. Schon seit über 60 Jahren üben sich Knipser mit einer Vorrichtung namens „Selbstauslöser„, selbst mit aufs Bild zu kommen. Weil sowas vor den Sechzigerjahren meist noch nicht in die Kameras eingebaut war, gab es Dinger, in denen ein Uhrwerk ablief, dann ein Feder auslöste und so den Auslöser betätigte – ich habe noch ein solches chromblitzendes Kästchen in meiner Sammlung. Der direkte Vorgänger von Selfiestick und Selbstauslöser war der Fernauslöser. Dabei handelte es sich technisch gesprochen um einen Bowdenzug, mit dem der Druck auf einen Knopf per Kabel auf einen Dorn übertragen wird, der den Auslöser drückt.

Ein mechanischer Selbstauslöser (Foto Berthold Werner via Wikimedia)
Ein meachnischer Selbstauslöser (Foto Berthold Werner via Wikimedia)
Aber spätestens seit der flächendeckenden Ankunft der Spiegelreflexkameras war der Selbstauslöser einfach da, und niemand verschwendete einen Gedanken daran. Die Legende lebt, und beinahe alle Kamera-Apps verfügen auch über eine Selbstauslöserfunktion. Man kann also eigentlich jedes Smartphone wie einen Fotoapparat mit Selbstauslöser benutzen … wäre da nicht das Problem der Fixierung. Denn das Handy kann man nicht so einfach irgendwo abstellen oder auf ein Stativ pflanzen, um dann schnell ins Bild zu rennen.

Selfiesticks mit und ohne Kabel

Eigentlich wollten die ersten Selfie-Maniacs sowas Kompliziertes auch gar nicht. Sie wollten einfach auf dem Foto drauf sein – allein vor dem schiefen Turm oder mit Freunden im Biergarten. Hauptsache selbst mit drauf. Also schalteten sie auf die Frontkamera (die ja eigentlich im Wesentlichen für die Videotelefonie à la Skype gedacht war) um und streckten den Arm mit dem Smartphone gaaanz weit von sich. Knips – und schon sind alle und alles auf dem Bild. Doch die Ansprüche wachsen, und wer gern den ganzen Petersdom mit der eigenen Visage davor fotografieren wollte, der musste ganz schön lange Arme haben. Was liegt da näher als eine Armverlängerung? Das war die Geburtsstunde des Selfiesticks.

Selfiesticks mit und ohne Kabel
Selfiesticks mit und ohne Kabel
Wobei es anfangs nicht trivial war, den Stick dazuzubewegen, den Auslöser zu drücken. Denn eigentlich reagieren die diversen Kamera-Apps zunächst nur auf den Tap aufs Display. Erst seit einigen Android- und iOS-Generationen können Bilder auch per Lautstärketaste(n) oder irgendeine Tastenkombination geknipst werden. Wo immer die Lautstärketaste mit im Spiel war, lassen sich Smartphone und App austricksen. Vorausgesetzt, die Kopfhörerbuchse am Gerät ist keine Einbahnstraße, sondern auf den Einsatz eines Headsets vorbereitet. Denn dann kann man den Selfiestick mit dieser Buchse verkabeln, und beim Druck auf den Auslöser am Stick wird ein Signal gesendet, dass unser Smartphone wie den auslösenden Druck auf die Lautstärketaste(n) begreift.

Maße und Preise

Wie gesagt: Das geht nur, wenn die Betriebssystemversion und die Kamera-App Gebrauch von der/den Lautstärketaste(n) machen. Wenn nicht, muss Bluetooth herhalten. Auch das geht erst, seitdem Android und iOS überhaupt zulassen, dass Bluetooth-Signale Funktionen am Smartphone steuern. Weil das aber alle aktuellen Geräte betrifft, ist man mit einem Bluetooth-Selfiestick auf der sicheren Seite. Versteht das eigene Handy aber Befehle an die Lautstärketaste(n), ist ein Selfiestick mit Kabel die deutlich preiswertere Lösung. Apropos: Mechanisch ordentliche Selfiesticks ohne Bluetooth gibt es inzwischen für um die 8 Euro. Bluetooth-Sticks enthalten Akkus und Elektronik und sind deshalb teurer – brauchbare Sticks dieser Art beginnen bei rund 16 bis 20 Euro.

Inzwischen haben sich die diversen, vorwiegend chinesischen Hersteller auf eine Länge von rund 80 Zentimeter für den voll ausgefahrenen Stick geeinigt. Während die ersten Vertreter der Gattung oft eine relativ schwere Aufnahme für das Smartphone hatten, waren sie extrem kopflastig, und ein Video am ausgestreckten Arm zu drehen, nur was für Bodybuilder. Aktuelle Sticks sind an dieser Stelle leicht und haben teilweise Gegengewichte im Haltegriff. Insgesamt sollte ein Kabel-Stick weniger als 150 Gramm wiegen, eine Bluetooth-Stange darf bis zu 200 Gramm auf die Waage bringen. Wichtiges Kaufkriterium ist aber, ob die Aufnahme groß genug für das eigene Smartphone ist. Das wird in aller Regel im Querformat eingeklemmt, deshalb muss der Anschlag zwischen 60 und ungefähr 110 Millimeter variierbar sein.

Und was macht man dann damit?

Okay, man benutzt den Stick für Selfies, so viel ist klar. Alles für Fotos, auf denen man selbst drauf ist. Es gibt aber eine Reihe von Anwendungsfällen, auf die man nicht so einfach kommt. Weil die Rückseitenkameras allesamt zur Kategorie Weitwinkel gehören, kann man mit dem Stick tolle Aufnahmen von Landschaften und Situationen machen, wo ganz, ganz viel drauf zu sehen ist. Natürlich muss das Smartphone dann verkehrt herum eingespannt werden, und man muss im Blindflug knipsen. Überhaupt: Mit Rückkamera und Stick erzielt man Perspektiven, die sonst nicht möglich wäre – zum Beispiel auch beim Konzertbesuch oder dem Volksfest. Ebenfalls nett: Mit dem Smartphone am Stick in Ecken kommen, die man sonst nicht erreicht. Wie wär’s mit einem Foto aus der Hundehütte samt innenliegendem Hund? Oder diesem Hohlraum zwischen Kellerwand und Außenmauer, von dem niemand weiß, was drin ist? Ja, so ein Selfiestick erlaubt beinahe Spionagefotos… Wer öfter Videos von Menschen dreht, wird den Stick auch schätzen lernen, weil man mit ihm den Kamerastandpunkt viel besser variieren kann und sogar kleine Kaperfahrten in 3D möglich werden.

Dabei entsteht aber das Problem, dass sich nur Bluetooth-Sticks für das Videografieren eignen. Alle gängigen Kamera-Apps, die auch eine Videofunktion haben, erlauben es NICHT, per Lautstärketaste(n) die Aufnahme zu starten oder zu stoppen. Ja, die meisten dieser Apps können den Videobetrieb auch nicht auf ein Bluetooth-Signal hin starten. Für Android-Besitzer empfiehlt sich die App SelfiShop Camera – die kann das.

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