Tim Berners-Lee im Juli 1994

Internethelden (1): Tim Berners-Lee – An Englishman in the Net

Insgesamt dreimal bin ich Tim Berners-Lee begegnet, einmal sogar persönlich. Das wird Ende 1995 gewesen sein. Mit Kollegen waren für die legendäre GMD im Schloss Birlinghoven bei St. Augustin tätig, die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, die 2001 mit der Fraunhofer-Gesellschaft fusionierte. Es ging um ein ziemlich großes, europäisches Projekt rund um die Industrienutzung von massiv-parallel arbeitenden Datenverarbeitungssystemen, für das eine eindrucksvolle, multimediale Präsentation zu basteln war. Eine zuständige Projektmitarbeiterin war damals schon weit voraus in Sachen Internet und hatte vorgeschlagen, doch auch eine Website zum Projekt zu publizieren. Wie es der Zufall will, war an einem der Tage eines Projekt-Meetings ebenjener Erfinder des World Wide Web im Schloss, und unsere Ansprechpartnerin war ganz aufgeregt.

Am Tisch mit Berners-Lee

Wir saßen dann zu siebt oder acht in einem überhaupt nicht hübschen Sozialräume des Instituts mit Tim Berners-Lee an einem Tisch, tranken Softdrinks oder Kaffee, fragten ihn was, hörten ihm zu und atmeten dieselbe Luft wie dieser Gigant in der Geschichte des Internets. Zugegeben: Dass aus der von ihm persönlich erfundenen Kombi aus Webserver, Webbrowser, HTML, HTTP und URL das werden würde, was heute unser aller Leben in nicht geringem Maße bestimmt, ahnte keiner von uns; wir alle fanden das Web irgendwie spannend. Oder – wie es 1989 sein Chef per handschriftlicher Notiz auf dem Konzept vermerkte – „vague but interesting“. Tatsächlich war aber diese kleine Gesprächsrunde, die kaum anderthalb Stunden beieinandersaß, fast ideal, um die Perspektiven zu erkennen. Da saßen drei, vier in der Wolle gefärbte Wissenschaftler, darunter neben Berners-Lee ein weiterer Physiker, zwei Computer-Nerds mit Hang zum Lötkolben und zur Maschinensprache und wir, die Marketingfuzzis, die alles aus Sicht er Kommunikation betrachteten.

Tim Berners-Lee 2009 auf einem Kongress (Foto: Wikimedia)
Tim Berners-Lee 2009 auf einem Kongress (Foto: Wikimedia)
Bekanntermaßen gibt es ja in der Geschichte der Digitalisierung ein paar Briten, die wichtige Rollen gespielt haben, aber keiner war so ein britischer Gentleman wie Berners-Lee – nicht skurril wie Sir Clive Sinclair und auch nicht nassforsch wie Alan Sugar, sondern sehr aufmerksam, sehr höflich und einfach rundherum nett. Ein paar Anekdoten aus der Anfangszeit des WWW im CERN in Genf gab er um Besten, erzählte von seiner immer noch großen Verwunderung darüber, dass seine Ideen längst über die Grenzen der wissenschaftlichen Gemeinde hinaus Wirkung zeigten, und erklärte uns höchstpersönlich das Hypertext Transfer Protocol (HTTP). Bei allem Understatement wurde seine unendliche Bewunderung für das Prinzip Hypertext deutlich, wobei er ganz ausdrücklich auf das Programmiertool „Hypercard“ hinwies, das Bill Atkinson Mitte der Achtzigerjahre für Apple entwickelt hatte.

Das Prinzip Hypertext

Nun traf es sich, dass auch ich damals noch riesengroßer Apple-Fan war, neben den ganzen doofen PCs immer auch mindestens einen Mac im Einsatz hatte, Hypercard liebte und sogar ein Buch dazu geschrieben hatte. Das Prinzip hat das von Tim Berners-Lee geleitete W3C (World Wide Web Consortium) später so definiert:

Hypertext ist ein Text, der nicht linear sein muss (not constrained to be linear).
Hypertext ist ein Text, der Links zu anderen Texten enthält.
HyperMedia ist ein Hypertext, der auch Grafiken, Videos oder Klänge enthalten kann (not constrained to be text).
Hypertext und HyperMedia sind Konzepte, keine Produkte.
(Quelle: Wikipedia)

Der allererste Webserver - ein NeXT (Foto: Wikimedia)
Der allererste Webserver – ein NeXT (Foto: Wikimedia)
Nachdem ich ihn später mit einigem Abstand noch zweimal als Speaker erlebte, würde ich sagen: Es ist das Hypertext-Prinzip, das im Zentrum seines Tuns stand und steht. Und es ist für ihn nicht bloß eine technische Sache, sondern ein zutiefst humanes Mittel der Verständigung und der Informationsfreiheit. Das ist ja, was er mit dem WWW wirklich anstrebte, dass Menschen (zunächst vor allem Wissenschaftler) weltweit in einem gemeinsamen, dezentralen und offenen Netzwerk ihre Informationen, Konzepte, Projekte, Gedanken und Meinungen austauschen können. Das hat für Tim Berners-Lee auch eine moralische, ja, spirituelle Ebene, die möglicherweise damit zusammenhängt, dass er im Umfeld der Unitarier aufgewachsen ist, einer christlich geprägten Religion, die den Verstand über den Glauben stellt und deren Glaubensbekenntnis zutiefst humanistisch ist.

Berners-Lee und die Politik

In den letzten Jahren hat sich Berners-Lee oft und durchaus pointiert auch zu politischen Fragen und Situationen geäußert. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat er noch einmal mit Nachdruck vorgeschlagen, alle mit dem World Wide Web verbundenen Organisationen und Institutionen rasch aus den USA abzuziehen, um deren Unabhängigkeit zu sichern. Überhaupt versteht er sein Amt als Vorsitzender des W3C vor allem politisch. Dass ihn einige Protagonisten des „Internet-Business“ einen Romantiker nennen und ihn vielleicht sogar gern loswerden wollen, kratzt den Mann jenseits der Sechzig wenig.

Von der Idee der erwähnten Mitarbeiterin, auch eine Website in den Mix der Kommunikationsmittel für das Projekt einzubeziehen, war Berners-Lee einigermaßen begeistert. Besonders weil noch nicht viele Menschen erkannt hatten, dass Webseiten eine besonders schlaue Möglichkeit boten, komplexe und vielfältige Informationen genießbar aufzubereiten – dank Hypertext. Und so setzten wir beim Basteln an der Europort-Website, die im Juli 1997 online ging, massiv auf die Verwendung von internen Links; weniger auf externe, denn es gab noch nicht so viel, auf das man hätte verlinken können.

Und hier eine wunderbare Sendung des schweizerischen Fernsehens mit und über Tim Berners-Lee:

[Fotos: Titelbild – TBL 1994 via Flickr; TBL 2009 – Silvio Tanaka via Wikimedia unter der CC-Lizenz „Namensnennung 2.0 generisch„; NeXT – Geni via Wikimedia unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation]

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