Raus aus der Delle: Schafft Apple einen neuen Anlauf?

Kein Apfel ohne Tal zwischen den Hügeln: Die Ernüchterung nach der Neuheiten-Präsentation von Apple wirkt immer noch nach. Zeit für eine Aufarbeitung! Was macht Apple gut, wo gibt es Nachholbedarf? Und was hat das alles mit Newton und Lisa zu tun?

Quelle des Aufmacherbildes: YouTube / Digisaurier / Apple / Pixabay.com

„Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Computer so groß wie ein Notizblock. Sie schlagen ihn auf, können mit einem Stift darauf schreiben. Er erkennt Ihre Handschrift und wandelt sie um in Druckbuchstaben. Sie können damit Faxe versenden und über alles Informationen bekommen.“

Christian Spanik berichtet aus dem Silicon Valley

Okay, spätestens beim Thema „Faxe versenden“ wird klar, dass dieses Zitat nicht aus der jüngsten Vergangenheit stammen kann – und hoffentlich bitte auf gar keinen Fall von der Apple-Keynote im September 2018. Dort lechzte die Fangemeinde wieder einmal nach „the next big thing“, ging aber in Sachen „großer Wurf“ leider eher leer aus, wenn man den Medienkollegen folgt, die das Event bewerteten.

Präsentiert wurden Verbesserungen in allen Details, aber das nächste große Ding? … war einzig und allein der Verkaufspreis. Irgendwie, so scheint es wohl, hat sich die Smartphone-Welt daran gewöhnt, dass eine Modellpflege bei Apple ganz konsequent zur Pflege der Modelle gedacht ist. Und wie immer auch zur Veredlung der Preise.

Nein, das hier soll kein Apple-Bashing-Beitrag werden! Wir versuchen einen anderen Blick auf das Herbst-Spektakel des kalifornischen Big Players zu werfen, das traditionell die Mobilfunk- und Netzgemeinde in zwei Lager spaltet. Aber: erst einmal der Reihe nach.

Zwei Apple-Flops

TV-Moderator Christian Spanik war es, der Mitte der 1980er-Jahre im Silicon Valley stand und dieses ominöse Gerät namens „Newton“ vorstellte, das die Handschrift umwandeln und tatsächlich Faxe versenden konnte – nicht nur so groß wie ein Notizblock, sondern derart riesig und schwer, dass viele sich die Frage stellten, ob man dafür extra verstärkte Jeanstaschen haben müsste.

(C) YouTube / Digisaurier

„Bei diesem Vorführgerät nicht wirklich“, erinnert sich Digisaurier Christian Spanik, „denn das Teil war nur ein Mockup, also gar kein echtes Gerät – die eigentliche Power steckte in zwei McIntosh-Rechnern links und rechts von einem Panel, auf dem die Demo lief“. Und selbst die war eine Enttäuschung: „Meine Handschrift wurde gar nicht erkannt, ebenso wenig wie die einer Kollegin, die eine besonders schöne Schrift hatte. Also, wie sollte das dann in einem kleinen Plastikgehäuse gehen, wo deutlich weniger Technik und Rechenpower drin sein würde?“

Die wichtigere Frage aber lautete: Warum präsentierte Apple den Newton so früh und so unausgereift? „Ich traf einige Tage später jemanden aus dem Entwicklerteam“, erzählt Christian. „Der Mitarbeiter sagte relativ deutlich, was Sache war – nämlich dass sie eigentlich noch gar nicht so weit sind, das Gerät auf den Markt zu bringen, dass aber John Sculley, damals Apple-CEO, unglaublich wild darauf war, es zur großen Messe zu präsentieren. Am Ende war der Newton einer der ganz großen Flops bei Apple.“

Mac und Windows waren nur „geklaut“

„Lisa“ ist noch so ein Flop, auf den Apple nicht gerne zurückschaut. Ob es eher als Hohn oder doch als Ehrung gedacht war, dass Apple einem Produkt, das allen Ernstes von der Idee einer verdienten Wissenschaftlerin abgekupfert war, einen weiblichen Namen gab, sei jetzt mal dahingestellt.

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Tatsächlich war Lisa der allererste Computer mit Maus und grafischer Bedienoberfläche – doch die Idee kam nicht von Apple, sondern von Xerox, wo Steve Jobs und auch Bill Gates sich „bedienten“ und daraufhin McIntosh und Windows entwickelten. Genauer: von einer Dame, die damals alle Herren der IT-Schöpfung in den Schatten stellte. Die Geschichte zu dieser bemerkenswerten Computerfrau erzählen wir hier.

Was diese Flops mit den aktuellen Neuheiten von Apple zu tun haben? Newton gilt als Urgroßvater der iPhones, die wir jedes Jahr neu vorgestellt bekommen, und auch Lisa zeigte als genauso mahnendes Beispiel, dass es sich lohnen sollte, Innovationen erst sauber zu Ende zu denken, bevor sie auf den Markt kommen. 2007 war so ein Jahr: Urplötzlich wurde die Mobilfunkwelt von einem Gamechanger namens iPhone auf den Kopf gestellt. Glücklicherweise war das Produkt damals schon so weit, dass die weitere Entwicklung nicht mehr aufzuhalten war. Jahrelang folgte eine Innovation auf die andere – zu Recht mit großem Stolz präsentiert in einem jährlichen Großereignis, das mehr an einen Gottesdienst als an eine Produktpräsentation erinnert.

Kann Tim Cook Apple?

Heute finden die Gottesdienste, Pardon, Präsentationen immer noch statt – mittlerweile in der monumentalen neuen Firmenzentrale im beeindruckenden „Steve Jobs Theater“.

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Ob Apple-Chef Tim Cook in seiner Keynote dem Erbe des Theater-Namensgebers gerecht wird, darüber wird viel gestritten.

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„Steve Jobs war eine Ausnahme-Persönlichkeit, die man nicht alle Tage findet“, mahnt IT-Journalist Hannes Rügheimer. „Als Manager einer Firma sollte man nicht die primäre Qualität haben, eine tolle Show abzuliefern. Der Kontrast zu Steve Jobs ist zwar krass, aber man merkt, finde ich, dass Tim Cook viel Training hinter sich hat. Und weil in dem Business im Grunde alle dasselbe Spiel spielen, sollte man nicht darüber nachdenken, ob einer etwas besser oder schlechter macht.“

Die neuen iPhones und die Apple Watch 4 – kaufen oder nicht?

Sorry, Kaufempfehlungen wird es in diesem Digisaurier-Beitrag nicht geben. Wir könnten jetzt den typischen Salmon runterbeten: Wer noch ein relativ aktuelles Gerät hat, der kann damit noch sehr gut klarkommen; wer bisher kein Apple-Kunde war, kann sich von den rundum gelungenen Neuheiten begeistern lassen – sofern er die Preise zu zahlen bereit ist.

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Denn die sind … mindestens heftig, möchte man sagen. Das günstigste iPhone spielt in einer Liga, wo Topmodelle anderer Hersteller bereits das Ende der Preisskala markieren; das teuerste iPhone wiederum kostet so viel wie ein PC der höheren Leistungsklasse oder fast schon wie ein älterer Kleinwagen. Und für die smarte Uhr muss man so viel Geld hinlegen wie für ein schon recht ordentlich ausgestattetes Notebook.

„Nach absoluten Verkaufszahlen ist Apple nur noch die Nummer 3 auf dem Weltmarkt. Beim Gewinn sieht die Sache anders aus, da kann kein anderer mithalten. Deshalb versuchen Samsung, Huawei und HTC und andere jetzt auch, oberhalb von tausend Euro Geräte zu platzieren.“

Hannes Rügheimer

Auf jeden Fall erhalten die Kunden mit die besten Smartphones und Smartwatches, die es auf dem Markt derzeit gibt.

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Beide Gerätekategorien sind besser, schneller, leistungsfähiger und verbrauchstechnisch effizienter geworden, bei den iPhones gibt es verschiedene Displaygrößen und bei den Topmodellen noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten für ambitionierte Hobbyfotografen.

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Endlich hat auch Apple die Zeichen der Zeit erkannt und bietet – wie schon gefühlte Hundert andere Hersteller seit vielen Jahren – vor allem Geschäftsreisenden die Möglichkeit, durch die Verwendung von zwei SIM-Karten Berufliches und Privates zu trennen.

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Kurz gesagt: Tolle Show, tolle Geräte, alles schon mal irgendwo gesehen – weiter zur nächsten Show…

Fazit: Ich möchte wieder „süchtig“ werden!

Wer den Berg erklimmen will, muss Anlauf nehmen – am besten mit guter Ausrüstung. Die Neuheiten von Apple sind (mal wieder) sehr gut und gehören (wie immer) zur Spitzenklasse. Aber die offizielle Modellpflege (wie in diesem Jahr) wie auch die gefühlte Modellpflege (wenn es eigentlich wieder ein „nächstes großes Ding“ geben sollte) dürften nicht ausreichen, um die Fangemeinde auf ewig bei der Stange zu halten. „The next big thing“ gab es unter der Leitung von Tim Cook seit 2011 erst zweimal.

Wir freuen uns daher auf die große Schippe an Innovation, die hoffentlich 2019 draufgelegt wird – bei der man gar nicht anders kann, als die Ersparnisse eines Jahres auf die Ladentheke zu blättern. Halt wie in den guten alten ersten iPhone-Jahren, als auch der Verfasser dieser Zeilen geradezu süchtig nach dem angebissenen Apfel war.

Text: René Wagner

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