So kommt Telegram daher

Was zur Hölle… ist Telegram ein empfehlenswerter Messenger?

Als das weltweite Web auch für Otto Normalverbraucher und seine Gattin eröffnet wurde, war auch schon der Messenger da. Also die Sorte Programm, mit dem zwei und mehr Leute miteinander chatten konnten. Denn dieses Miteinanderquatschen per Computer hat eine lange Tradition, die bis zu den Anfängen der Netzwerksysteme zurückreicht. Ja, das zeitnahe Austauschen von schriftlichen Nachrichten war eine der ersten Anwendungen der Network-Technologie überhaupt. Mit dem WWW kamen ICQ & Konsorten, und eigentlich waren alle zufrieden.

Das schlichte Telegram-Logo
Das schlichte Telegram-Logo
Mit der schnellen und großflächigen Verbreitung der Smartphones änderte sich die Lage. Die Leute waren die doofen SMSe leid und wollten was Besseres. Auch wenn sich 2010 niemand wirklich auf WhatsApp stürzte, ging bei diesem Messenger schon ab Mitte 2011 die Post ab. Plötzlich hatte alle den. Als Facebook WhatsApp dann 2014 übernahm, waberte der erste größere Shitstorm (Abhörmaschine! Unsicher! Datenkrake!) durch den digitalen Kosmos. Auf einen Schlag waren Gott und die Welt auf der Suche nach Alternativen, von denen zwischen 2013 und 2016 buchstäblich Dutzende aus dem App-Entwicklungsboden schossen.

Kurz machte Manuel Kaspers Threema eine Raketenkarriere, und die Anwender stiegen zu Dutzenden um, weil der Schweizer die todsichere End-to-End-Verschlüsselung versprach. Aber, wir wissen ja: Nicht das Bessere setzt sich in der Digitalwelt durch, sondern das Meistgenutzte. In Wahrheit luden sich zwar viele die Threema-App herunter und registrierten sich sogar, aber kaum jemand löschte deshalb WhatsApp – man wollte ja schließlich auch mit denen in Kontakt bleiben, die zu bräsig waren, um umzusteigen.

Pawel Durow, der Telegram-Erfinder (Foto: Wikimedia - siehe Bildnachweis)
Pawel Durow, der Telegram-Erfinder (Foto: Wikimedia – siehe Bildnachweis)
Der Start des Messenger-Dienstes Telegram verlief dagegen einigermaßen schleppend – nicht zuletzt, weil den russischen Entwicklern in der westlichen Welt erhebliche Vorurteile entgegenschlugen. Immerhin waren Nikolai und Pawel Durow Gründer von VK.com, dem russischen Pendant zu Facebook. Und auch wenn die Brüder nicht so riesige Fans von Putin und seinem Apparat waren, haftete ihnen der Ruf an, irgendwie am Ausforschen der Menschen jenseits des ehemaligen eisernen Vorhangs interessiert zu sein.

Dabei hätten eigentlich alle, die auch nur einen Hauch von Ahnung über Datensicherheit, Verschlüsselung und, ja, auch Open-Source-Software spontan jubeln müssen, den die Durows waren um 2015 herum bei diesen Themen unter den Messengern ganz vorne dran. Um es klar zu sagen: Threema und Telegram haben in diesen Jahren WhatsApp vor sich her getrieben und per Konkurrenz dafür gesorgt, dass WA inzwischen guten Gewissens genutzt werden kann.

Während Threema nach und nach zum Messenger für Nerds wurde, zog Telegram den Internet-Untergrund an. Eigentlich ohne rationalen Grund entschieden sich Online-Dealer, Hacker und diverse Politverwirrte für Telegram, und die Kanäle der Verschwörungsideologen dort wurden zum Hit für alle Wahnwichtel und Aluhutfalter. Das ist auch der Stand der Dinge. Oder sagen wir so: Wo Nasen wie Attila Hildmann, Xavier Naidoo und ähnlich Durchgeknallte Superstars sind, da sollte man zumindest misstrauisch werden.

Einfache Einstellungsmöglichkeiten in Telegram
Einfache Einstellungsmöglichkeiten in Telegram
Das aber beantwortet die Eingangsfrage nicht. Schauen wir uns das System einmal näher an. Auf den ersten Blick sieht alles so aus, wie man das von den anderen Messenger her kennt. Man kann Kontakte deren Mobilnummer hat und von denen man weiß, dass sie einen Telegram-Account haben, über Telegram anquatschen und das Ding genauso nutzen wie WhatsApp. Aber: Auf dieser Ebene handelt es sich um sogenannte „Cloud Chats“, die über die Telegram-Server laufen, dort gespeichert werden und für jeden lesbar sind, der über entsprechende Rechte verfügt oder sich diese verschafft.

Nun kann man sagen „Doch nicht schlimm, wenn ich meinem Gatten mitteile, er möge nach der Arbeit ein Pfund Hack mitbringen.“ Richtig. Aber schon, wenn jemand fragt, ob ein oder mehrere andere wissen, was aus diesem Horst geworden ist, den man gekannt hatte, geht’s tief in die Privatsphäre. Die kriegt man samt End-to-End-Verschlüsselung nur in optionalen „Geheimen Chats“. Heißt: Wer anonym Hack beim Gatten bestellen will, muss einen solchen Geheim-Chat einrichten. Überhaupt: Auch bei Gruppen und Kanälen gibt es diesen Unterschied. Die genannten Verschwörungsideologen nutzen das und legen offene Kanäle, aber geheime Gruppen an. Wer im offenen Bereich was gelesen hat, der wechselt in eine geheime Gruppe und wird zum Unterstützer.

Hauptsächlich optische Einstellungsmöglichkeiten für Chats in Telegram
Hauptsächlich optische Einstellungsmöglichkeiten für Chats in Telegram
Das muss man wissen. Wissen muss man auch, dass Telegram beim Installieren der App sehr großzügig nach Berechtigungen fragt. Gibt man beispielsweise den Zugriff auf die gespeicherten Kontakte frei, kriegen alle dort verzeichneten Menschen, die schon bei Telegram sind, automatisch eine Nachricht, dass man jetzt auch dabei sei. Was Telegram sonst noch so mit den Berechtigungen anstellt, löst immer wieder Bedenken von Datenschützern, die es wissen müssen, aus.

Kurz und gut: Wer Telegram als Messenger im Sinne von WhatsApp nutzen möchte, weil schon so viele Familienangehörige, Freunde und Kollegen da sind, der wird ein schnelles, komfortables System finden, an das er sich schnell gewöhnt. Dann kann man natürlich den ganzen Quatsch in den Gruppen und auf den Kanälen getrost ignorieren, sollte aber bei den angefragten Berechtigungen sehr genau überlegen, welche man erteilt und welche nicht.

[Bildnachweis – Pawel Durow: TecCrunch via Wikimedia unter der Lizenz CC BY 2.0;]

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